Wissenschaft:Im Reich der Bienchen und Blümchen

Susanne Renner Botanische Staatssammlung

Susanne Renner im Herbarium der Botanischen Staatssammlung, eine der größten weltweit.

(Foto: Catherina Hess)

Susanne Renner erforscht die Natur - besonders den Sex bei Pflanzen. Als Direktorin der Botanischen Staatssammlung ist sie auch Herrin über den schönsten Garten Münchens.

Von Martina Scherf

Susanne Renners Reich ist der schönste Garten Münchens. Jetzt im Frühling grünt und blüht es, dass es eine wahre Pracht ist: Tulpen und Narzissen, Magnolien und Forsythien. In den Gewächshäusern gedeihen Palmen und Kakteen, Kaffee, Pfeffer und Vanille und mehr als 2000 Orchideenarten. Aber nicht nur Pflanzen fühlen sich in der Anlage neben dem Nymphenburger Schloss wohl, auch Insekten, Vögel, Frösche und Wasserschildkröten - und manche stehen unter ständiger Beobachtung. "2689 einzelne Bienen haben meine Studenten für eine Studie markiert", erzählt die Direktorin des Botanischen Gartens. Das Ergebnis: "Bei uns geht es den Bienen gut, yes!"

Wenn Susanne Renner über ihre Arbeit spricht, dann hört man ihre Begeisterung. Immer wieder rutschen ihr englische Wörter in die Sätze, "exactly" oder "wonderful", ruft sie dann. Das ist keine Koketterie, denn ihr Leben spielt sich zwischen zwei Kontinenten ab, genauer zwischen München und St. Louis. Dort leben ihr Mann und ihr Sohn, an der Universität von Missouri lehrt sie als Gastwissenschaftlerin. In München ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Systematische Botanik und Mykologie an der Ludwig-Maximilians-Universität und Direktorin der Botanischen Staatssammlung samt Garten und Herbarium.

Yes, sagt sie, den Bienen geht es gut in Nymphenburg. Ganz anders allerdings draußen im Land. Gerade ist der Film "Die Wiese - Ein Paradies nebenan" in die Kinos gekommen. Eine wunderbare Dokumentation der Lebensvielfalt in einer Blumenwiese. Doch dieses Paradies ist in Deutschland fast ausgestorben, verdrängt von intensiver Landwirtschaft. Und wo es keine Blumen gibt, da gibt es auch keine Bienen und keine Vögel.

"Alle reden vom Klimawandel, aber das Insektensterben ist viel dramatischer", sagt die Biologin und bekennt: "Ich habe mich wirklich noch nie politisch betätigt, aber diesmal habe ich das Volksbegehren in Bayern zur Förderung der Artenvielfalt unterstützt." Von den rund 550 bekannten Bienenarten, erklärt sie, sind die meisten so klein, dass sie nicht weiter als 70 bis 120 Meter fliegen können. "Deshalb sind sie dringend auf kleinräumige Biotope angewiesen, auf Grünstreifen zwischen den Feldern und kleine Blumeninseln, die ihnen ausreichend Nahrung bieten." Genau das fordert das Volksbegehren. "Wir müssen unsere Böden und unser Wasser schützen, indem wir möglichst wenig chemische Gifte einsetzen", sagt Renner also, und weil sie grundsätzlich optimistisch und pragmatisch denkt, hat sie auch eine Lösung: "Wenn wir mehr Roboter zum Unkrautjäten in der Landwirtschaft einsetzen, brauchen wir weniger Chemie."

Artenvielfalt, das Thema erfährt inzwischen auch in der Wissenschaft wieder mehr Beachtung. Renner leitet ein nationales Projekt zur Biodiversität, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie ist Mitglied in der bayerischen und der deutschen Akademie der Wissenschaften, im Senat der Leibnizgemeinschaft, also in einigen der höchsten Standesvertretungen. Und so euphorisch, wie sie redet, kann man sich vorstellen, dass sie auch dort ihre Themen mit Verve vertritt.

Ihr eigentliches Spezialgebiet ist aber Sex bei Pflanzen. Spannendes Thema, denn es gibt neben Arten, die unbedingt Bestäuber brauchen, auch solche, "die es alleine können". Wie diese Levkoje, sagt sie, und hebt eine Blüte aus dem Strauß auf ihrem Besprechungstisch heraus. "Man denkt, Sex ist so eine tolle Sache, aber er birgt auch immer ein Risiko", sagt Renner. Es sei ja keinesfalls so, dass der Nachwuchs von heterogenen Eltern immer kräftiger, klüger, schöner oder resistenter werde. Das treffe gerade mal auf 50 Prozent der Kinder zu. Die anderen 50 Prozent sind - evolutionsbiologisch betrachtet - ein Rückschritt, oder zumindest keine Verbesserung. Die Gurke zum Beispiel braucht keinen Sex mit Partnern, das hat man in vielen Experimenten herausgefunden. Ist das nicht Inzucht? Yes, sagt Renner, "aber die selektieren sich eben aus. Die Kräftigen überleben, das funktioniert seit Generationen. Die biologische Definition von Sex ist: regelmäßiger Austausch von genetischem Material. Und so gesehen ist die beste Zuchtmethode: kein Sex. Deshalb sind alle unsere Äpfel oder Rosen geklont."

Die Biologin beschäftigt sich nicht nur mit Nutzpflanzen, sondern auch mit exotischen Symbiosen. Einen ihrer jungen Wissenschaftler hat sie auf die Fidschi-Inseln geschickt. Dort gibt es eine Ameisenart, die ihren eigenen Kaffee anbaut. Sie krabbeln einen Baum hoch, legen einen Samen in eine Rindenspalte. In Schichten bewachen Arbeiterinnen Tag und Nacht die jungen Pflanzen und düngen sie mit ihrem Kot und Urin. Quasi als Belohnung entwickelt das Kaffeegewächs Hohlräume. Dort ziehen die Ameisen ein, legen Brutkammern für ihre Larven und Toilettenräume an. Von ihrem Kot wiederum ernährt sich die Pflanze, und die Ameisen beschützen sie im Gegenzug vor Schädlingen. "Ist das nicht absolut faszinierend?", fragt Susanne Renner.

Im Keller lagern mehr als drei Millionen Pflanzen- und Pilzproben

Auf dem Weg in den Keller des denkmalgeschützten Botanischen Instituts sprudelt die Botanikerin von Geschichten. Die Familienbande der Wassermelone hat sie unlängst untersucht, bis zu Zeiten des Tutanchamun. Im Grab des Pharao fand sich ein Schüsselchen mit Melonenkernen. Dank DNA-Analyse ließ sich nachweisen, wann die ursprünglich bittere Frucht zum begehrten Sommersnack wurde - "der Pharao, das steht jetzt fest, hat sie schon vor 3500 Jahren rot und süß genossen".

Im Keller steht das Herbarium. Es ist eines der größten der Welt. Mehr als drei Millionen getrocknete Pflanzen- und Pilzproben lagern dort, sortiert in deckenhohen Metallschränken. Das Herbarium birgt nicht nur botanisches Wissen - es ist auch Weltgeschichte, gepresst zwischen Pappdeckeln. "Der Reaktorunfall von Tschernobyl, der Krieg in Afghanistan, alles lässt sich hier ablesen", sagt die Direktorin. Ein Mitarbeiter verbrachte Jahre seine Lebens am Hindukusch, um die Botanik zu erforschen. Die Proben halten ewig, sie sind wie trockenes Holz, sagt Renner. "Deshalb werfen wir nie etwas weg. Mit modernen DNA-Analysen lässt sich da eine Unmenge an Informationen herauslesen." Mit gezieltem Griff zieht sie eine Mappe von 1846 heraus. Fein säuberlich sind verschiedene Blüten darin gepresst und in Sütterlin beschriftet. Lola Montez, die Geliebte von König Ludwig I., hatte sie in den Schweizer Bergen gesammelt, bevor sie nach München kam. "So ein Edelweiß kann Geschichten erzählen", sagt Renner und schmunzelt.

In ihrer Freizeit liest die Biologin am liebsten Gedichte und Romane. "Anna Karenina" hat sie gerade wieder zur Hand genommen, "man liest das als Erwachsener ja anders als in der Jugend". Tolstois seitenlangen Betrachtungen der russischen Landwirtschaft hätten sie damals gelangweilt, "heute fand ich sie höchst interessant". Kaum zu glauben, dass die schlanke Frau mit dieser schier unerschöpflichen Energie im Herbst 65 Jahre alt und dann bald in den Ruhestand geschickt wird. Sie wird wohl kaum nur noch Romane lesen. "Dann forsche ich eben in den USA weiter", sagt sie und stöckelt die Stufen zurück ins Büro hoch. Das Artensterben ist auch dort ein Thema. Und ein Garten wartet in St. Louis auch auf sie. "Schön verwildert, nicht so amerikanisch akkurat wie bei den Nachbarn."

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