In diesem Land, sagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), in dem die Nazis jede Spur jüdischen Lebens vernichten wollten, sei es immer etwas Besonderes, wenn ein Kulturgut gefunden werde, das aus der einstigen Lebenswirklichkeit der jüdischen Gemeinden in Deutschland stamme.
Entsprechend erfreut war dann auch Ellen Presser, die Leiterin des IKG-Kulturzentrums in München, als sie im vergangenen Jahr in einem Konvolut aus Schriftstücken, das aus einer Schenkung stammt, einen privaten Brief Albert Einsteins an den jüdischen Wirtschaftswissenschaftler Julius Hirsch (1882-1961) fand.
Mittlerweile haben die Experten der Bayerischen Staatsbibliothek das Schriftstück mit Spezialinstrumenten untersucht. Das Ergebnis der Untersuchung, das Knobloch, Presser und Klaus Ceynowa, der Generaldirektor der Staatsbibliothek, am Mittwoch im Jüdischen Gemeindezentrum vorstellten, macht den Fund etwas weniger spektakulär als er anfangs zu sein schien: Es handelt sich um eine technische Kopie, die aber eine Besonderheit hat, die dem Fund dann doch den Reiz der Einzigartigkeit verleiht.
Einstein, der seine Kindheit und Jugend in München verbracht hatte, gratulierte am 30. Oktober 1932, damals noch in Berlin lebend, Hirsch zum 50. Geburtstag. Unter anderem schrieb der Physiker und Nobelpreisträger: "Wenn einer was geleistet hat, dann kann er mit Vergnügen zurückschauen, und nach vorwärts zu schauen ist auch vergnüglich, wenn man strotzt von Thatkraft und Interesse am Geschehen der Menschen. Solcher Optimismus überträgt sich selbst auf den Gratulanten, das spüre ich und freue mich mit Ihnen. Wenn die ,Von'-Gojim Leute von dieser Art hätten, wie Sie einer sind, gings dem teuern Vaterland entschieden weniger dreckig."
Aus Einsteins Brief lässt sich deutlich die Sorge über die Zukunft Deutschlands herauslesen, in dem die Nationalsozialisten zunehmend den Ton angaben und der Antisemitismus immer unverhohlener grassierte. Nun ist aber das Schreiben, das Ellen Pressler im Archiv der Kultusgemeinde gefunden hat, nicht das Original. Dieses befindet sich, wie sich bald herausstellte, im Leo Baeck Institut in New York.
Anfangs jedoch dachte man, dass Einstein einen Durchschlag angefertigt hat, also beim Schreiben Blaupapier unter das Original gelegt hat, das den Text auf ein untergelegtes Blatt übertragen hätte. In diesem Falle hätte man sicher sein können, dass die Kopie tatsächlich durch die Hände Einsteins gegangen wäre.
Es ist auch die kaum lesbare Schrift einer zweiten Person zu erkennen
Nach den Untersuchungen in der Staatsbibliothek wäre dies zwar weiterhin möglich, es ist aber auch ein ganz anderes Szenario denkbar. Mithilfe der sogenannten Hyperspektralen Bildanalyse haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass der Brief mit einem Kopiergerät vervielfältigt worden ist, das in den Dreißigerjahren bis ins späte 20. Jahrhundert verwendet worden war.
Auch diese "Diazotypie" könnte Einstein selbst angefertigt haben, aber es wäre ebenso möglich, dass es jemand aus dem Umfeld von Julius Hirsch war. Klaus Ceynowa enthält sich jeglicher Spekulation und erklärt lapidar: "Wir wissen nicht, wer die Kopie wann angefertigt hat."
Auf der Briefkopie ist auch eine blasse, kaum lesbare Schrift zu sehen, die offensichtlich von einer anderen Person stammt und Einsteins Zeilen teilweise überlagert. Was es damit auf sich hat, konnte ebenfalls mittels multispektraler Analyse geklärt werden. Die geheimnisvollen Zeilen stammen von einem Brief, den Einsteins zweite Frau Elsa ebenfalls zum Geburtstag an Hirsch geschrieben hat. Cynowa zufolge wurde Elsa Einsteins Brief mit der Schriftseite auf die frische Diazotypie gelegt, woraufhin sich die Schrift auf das mit lichtempfindlichen Salzen beschichtete Spezialpapier abgebildet hat.
Offen ist die Provenienz des Schriftstücks, mithin die Frage, wer die Kopie tatsächlich angefertigt hat und durch wessen Hände sie gegangen ist, ehe sie ins Archiv der Kultusgemeinde gelangte. Ellen Presser sagt, das Konvolut, in dem der Brief steckte, stamme wahrscheinlich aus der Schenkung eines alten jüdischen Mannes, der in den USA im Exil gelebt habe und später wieder nach Deutschland zurückgekehrt sei.
Angaben über die Herkunft des Einstein-Briefs habe der Mann nicht machen wollen, für ihn sei die Übergabe so etwas wie ein Schlussstrich mit der Vergangenheit gewesen. Auffallend ist, dass sich in dem Konvolut viele Zeitungsausschnitte befanden, auf denen Nachrufe auf den 1961 gestorbenen Julius Hirsch zu lesen sind - möglicherweise ein Hinweis, dass der Fund eher aus dessen Umfeld stammt.