Schriftsteller Jürgen Teipel:Raus aus dem Korsett

Als Junge hatte er ein verkrümmtes Rückgrat, erst die Musik befreite ihn. Seit dem Buch "Verschwende deine Jugend" galt Jürgen Teipel als Experte des Punk. Heute sind ihm Kindergeschichten lieber.

Martin Bernstein

Jürgen Teipel trinkt Tee. Der Mann, der vor wenigen Jahren den Punk zurück nach Deutschland gebracht hat. Der Mann, dessen Buch "Verschwende deine Jugend" nicht nur zum Verkaufserfolg, sondern zum Auslöser eines Punk-Revivals wurde. Der Mann, der dem Punk noch immer eine "unglaubliche Kraft" bescheinigt. Dieser Mann sitzt im Neuhauser Café Ruffini bei einer Tasse Tee und isst Käsekuchen. "Müssen Sie auch mal probieren", sagt er. Er meint nicht den Punk. Er meint den Käsekuchen.

Schriftsteller Jürgen Teipel: Der Schriftsteller Jürgen Teipel hat die Jugend im Korsett doppelt überwunden. Statt weiter rebellierender Punk-Experte zu sein widmet er sich nun Ruhigerem - Kinderbüchern.

Der Schriftsteller Jürgen Teipel hat die Jugend im Korsett doppelt überwunden. Statt weiter rebellierender Punk-Experte zu sein widmet er sich nun Ruhigerem - Kinderbüchern.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Jürgen Teipel ist kein Punk, nur weil er über Punk geschrieben hat. Er hört noch nicht einmal mehr die alten Platten an. Jürgen Teipel ist auch nicht zum "Techno-Experten" geworden, nur weil sein jüngster Roman - "Ich weiß nicht" betitelt - sich mit diesen harten Beats, diesem Lebensgefühl auseinandersetzt. Aber über Musik will er nicht sprechen.

"Wir können sehr gerne nicht über Punk reden und nicht über Techno, sondern eher über die Dinge, die dahinter stehen beziehungsweise drunter liegen." Der Kulmbacher, dann Regensburger, jetzt Münchner Teipel, Jahrgang 1961, hat eine Botschaft und scheut sich nicht, das Wort "Idealismus" in den Mund zu nehmen. Seine Botschaft, auch wenn er es so nicht sagt - alleine schon, weil er nie Hippie sein wollte:

"All you need is love." Das ist vielleicht banal. Vielleicht naiv. Definitiv kein Punk. Und definitiv wahr. Davon ist Teipel überzeugt. Er spricht mit kräftiger, aber leiser Stimme. Kein dröhnender Bass. Punk ist laut, provozierend, cool, selbstbewusst. Zumindest nach außen hin. Jürgen Teipel ist nachdenklich.

Auch der Titel seines ersten Buches regt zum Nachdenken an: "Verschwende deine Jugend." Wie verschwendet ist die Jugend eines Kindes, das wegen einer schweren Rückgratverkrümmung bis zum achten Lebensjahr immer wieder für lange Zeit ans nächtliche Gipsbett gefesselt ist, und das auch danach noch, bis es zehn Jahre alt ist, ein stützendes Korsett tragen muss?

Wie verschwendet ist die Jugend eines pubertierenden jungen Mannes, der dieses Korsett auch danach noch "im Kopf mitschleppt und sich nicht raustraut"? Für einen 18-Jährigen, für den ein Konzert der britischen Punkband The Clash zu einer Art Erweckungserlebnis wird? "Das Ganze nannte sich Pogo", schreibt Teipel im Vorwort zur französischen Ausgabe seines Punk-Bestsellers.

"Man packte sich gegenseitig am Kragen, schleuderte sich durch die Gegend. Natürlich war das alles nur ein Spiel. Theater. Aber durch das schiere Maß an Emotion wusste man trotzdem nie so genau. Unglaubliche Impulse kamen in mir hoch. Wild. Zerstörerisch. Von den meisten hatte ich bis dahin keine Ahnung. Sie hatten nie heraus gedurft, sondern hatten an der Kette gelegen.

"The Clash" wiesen ihm den Weg

Und dieses Wilde, Archaische in mir war auch gar nicht wirklich böse. Es war nur weggesperrt. Von daher wirkte Pogo unheimlich befreiend. Fast therapeutisch." Beamter, wie es seine Eltern geplant hatten, wird Teipel danach nicht mehr. Er macht Musik, schreibt, arbeitet als Filmvorführer. Geld verdient er nicht. "Eine ganz unrealistische Existenz", sagt Teipel heute.

Aber ihm ist damals klar: Ins "Hamsterrad" will er nicht - vielleicht auch, weil er Angst davor hat, nicht zu bestehen. Der Zufall will es, dass Ernst Brücher auf den jungen Mann und seine Texte aufmerksam wird. Brücher, Bruder der FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, ist Begründer und danach lange Chef des DuMont-Buchverlags und wird für Jürgen Teipel zum "väterlichen Freund und Förderer". Dazu kommt später noch die Wochenend-Chefin der Frankfurter Rundschau.

"Without people you're nothing" - Jürgen Teipel kennt das Zitat des verstorbenen Clash-Sängers Joe Strummer und nickt. Ohne andere Menschen wäre auch er nicht weitergekommen. "Punk-Rocker kann man nur eine kurze Weile sein", meint Jürgen Teipel. "Jemand, der immer wieder auf der Suche nach dem ist, was ihm tief im Inneren auch wirklich entspricht - Liebe, Warmherzigkeit, Freundlichkeit -, kann man ein ganzes Leben lang bleiben.

Der Trugschluss der Punks war es, ohne diese Liebe glücklich werden zu wollen. Sie versuchten es einfach aus schierer Kraft." Darüber reflektiert er, als er anfängt, für "Verschwende deine Jugend" zu recherchieren. Dass der "Gesang einer Generation" auch für andere Generationen von Bedeutung sein könnte: Das glaubt Teipel erst, als Buch, Doppel-CD und die folgende Ausstellung zum großen Erfolg werden.

"Da hat's mich erst einmal aus der Spur gehauen", sagt der 49-Jährige heute. Bei der Ausstellungseröffnung in der Düsseldorfer Kunsthalle kapitulieren die Glastüren vor dem riesigen Andrang. "Ich bin mir vorgekommen wie der fünfte Beatle", sagt Teipel und lächelt dabei verlegen. Ist er damit Deutschlands ultimativer Punk-Experte? Was für Teipel gleichbedeutend wäre mit einem Platz im Hamsterrad.

Er versucht, den Absprung zu schaffen. Und er beginnt mit dem Buch, das er in aller Unbescheidenheit "meinen 'Fänger im Roggen'" nennt - nach dem weltberühmten Roman J. D. Salingers. "Ich weiß nicht", soll das Buch heißen. In Teipels Verlag - er ist wieder von Suhrkamp zurück zu DuMont gewechselt - beißt man die Zähne zusammen. Verkaufsfördernd ist anders.

Doch Nichtwissen ist für Teipel eine Tugend: Er versteht darunter Offenheit. Er möchte den "staunenden Blick" wagen, weil er überzeugt ist: "Man kann nicht die Welt verändern, ohne sich selbst zu verändern." Kritiker werfen ihm Naivität vor. "Am ehesten kann man die Lektüre wohl mit ein paar Hasch-Keksen genießen", heißt es in einer Rundfunkbesprechung.

Besser meinende Kritiker vergleichen ihn mit Paolo Coelho oder Hermann Hesse. Die meisten Rezensenten interessieren sich vor allem dafür, dass jetzt nicht mehr Punk die Hauptrolle spielt - es geht um Protagonisten aus der Techno-Szene. "Nie wieder Musik in einem Buch", nimmt sich Jürgen Teipel vor. Zur Zeit schreibt er an einem Kinderbuch. Konsequent für den ehemaligen Punk, der als Kind im Gipsbett lag, denn: "Mit Kindern kannst du nicht cool sein."

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