Süddeutsche Zeitung

150 Jahre Weißwurst:Genießen wie ein Bayer, essen wie ein Kannibale

Lesezeit: 3 min

Wiesnwirte-Veteran Richard Süßmeier über Zubeißen, Zuzeln und das Geheimnis jungfräulicher Würste.

SZ: Herr Süßmeier, was zeichnet eine gute Weißwurst aus?

Süßmeier: Damit sie gut ist, gehört sie aus dem besten Material gemacht. Ob das jetzt die Petersilie ist oder die geriebenen Zitronenschalen oder das Kalbsbrät oder auch der Speck - die Zutaten müssen absolut frisch sein. Und die Weißwurst dann auch. Sie ist keine Briefmarke, die, je älter sie wird, desto wertvoller ist. Am besten schmeckt sie direkt aus dem Kessel. Das ist das Nonplusultra.

SZ: In Münchner Wirtschaften Weißwürste zu bestellen, ist mitunter Glücksache. Es gibt Wirte, die ganz hervorragende Qualität anbieten, andere wiederum servieren Würste, die so fad schmecken wie ein ausgekochter Teebeutel. Dabei müsste die Rezeptur doch immer die gleiche sein. Wie kommt es trotzdem zu so gravierenden Unterschieden?

Süßmeier: Auf Anhieb kann ich das auch nicht erklären. Entscheidend ist, wie gesagt, das sie frisch sind, sie müssen wirklich am Tag der Herstellung gegessen werden. Und sie dürfen nicht lauwarm sein. Vieles hängt dann auch von den Zutaten ab. Wenn zum Beispiel zu viel Speck drinnen ist, kann das dem Geschmack schaden. Oder wenn sich die Materialien nicht richtig vermengt haben. Man kann da viele Fehler machen.

SZ: Es ist also gar nicht so einfach, gute Weißwürste herzustellen?

Süßmeier: Richtig, das ist nicht leicht. Es muss ja alles zusammenpassen. Die Weißwurst ist, wenn man so sagen darf, eine jungfräuliche Wurst, ein zartes Geschöpf - und das muss dann auch dementsprechend behandelt werden. Natürlich gibt es auch Köche, die sie stiefmütterlich behandeln. Die sagen: Es ist nicht mein Erzeugnis, was geht mich die blöde Wurst an.

SZ: Und wie soll man sie essen?

Süßmeier: Da sollte man tolerant sein. Nur, wenn ich manchmal zuschau, wie so eine Weißwurst massakriert und dann noch in kleine Bröckerl geschnitten wird - furchtbar! Das wird alles gleich kalt, und eine kalte Weißwurst ist ein Graus. Am vernünftigsten ist es, jeweils nur eine Scheibe runterzuschneiden und davon die Haut abzuziehen. So bleibt sie am längsten warm.

SZ: Und wie machen Sie's?

Süßmeier: Ich selber esse sie wie ein Kannibale. Ich nehme sie in die Hand und beiß runter. Vorausgesetzt, ich weiß, dass die Weißwurst frisch ist. Nur dann ist der Saitling auch zart.

SZ: Wie? Sie essen sie mit der Haut?

Süßmeier: Mitsamt der Haut! Da werde ich dann oft angeschaut, als käme ich direkt aus dem Urwald. Dabei stört es niemanden, wenn man eine Wiener oder eine Kalbsbratwurst mit der Haut isst. Mit der Haut haben Sie einen ganz anderen Wurstgeschmack. Binden Sie sich mal die Augen zu und essen Sie eine abgeschälte Weißwurst. Im ersten Moment wissen Sie nicht, was sie essen. Aber wenn Sie sie mit der Haut essen, dann wissen Sie es sofort.

SZ: Und das Zuzeln?

Süßmeier: Das hat keinen anderen Sinn, als dass man die Wurst möglichst heiß isst. Wenn man sie rauszuzelt aus dem Saitling, dann ist sie halt noch am ehesten warm.

SZ: Die Geschichte von der Erfindung der Weißwurst durch den Moser Sepp im "Ewigen Licht" ist ja offenbar gar nicht wahr. Oder täuschen wir uns da?

Süßmeier: Mei, auch wenn die Geschichte nur erfunden wäre, so ist sie doch schön - und dann kann man's doch glauben, oder nicht? Ich jedenfalls glaub dran.

SZ: Warum ist gerade die Münchner Weißwurst so populär geworden?

Süßmeier: Da möcht ich erstmal sagen: Vielleicht, weil wir keine andere haben. Sie ist deswegen typisch für München, weil für den Münchner vor hundert Jahren das Frühstück nicht so bedeutsam war. Viel wichtiger war der Frühschoppen. Und da hat man entweder Weißwürste oder Kalbsbratwürste oder was Saures gegessen, um sich so den Appetit für Mittag zu holen. Zwei Weißwürste zum Frühschoppen - da hat man dann Mittag auch noch was essen können.

SZ: Und Weißbier und frische Brezn gehören unbedingt dazu?

Süßmeier: Das ist die klassische Kombination. Aber wenn Fremde partout nicht auf ihre Gewohnheit verzichten können, dann sollen sie von mir aus Kraut oder Pommes Frites und Ketchup dazu essen. Ich war da immer tolerant, so lange so einer nicht missioniert und die anderen Gäste beeinflusst.

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Quelle:
SZ vom 17.2.2007
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