140 Jahre Trambahn:Mit der Tram durch die schönsten Ecken Münchens

Wer mit der Trambahn unterwegs ist, bekommt einen ganz eigenen Blick auf die Stadt: Vier Spazierfahrten mit wuselnden Touristen, prächtigen Bauten, verschlafenen Wohngebieten, Löwengefühlen und Lärmschutzwänden.

Von Laura Kaufmann, Günther Knoll und Marco Völklein

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Trambahn in München, 2016

Quelle: Florian Peljak

Im Oktober 1876 ging die erste Straßenbahn in München in Betrieb, damals noch gezogen von Pferden. Heute befördern die Wagen auf dem 79 Kilometer langen Netz pro Jahr rund 120 Millionen Fahrgäste. Ganz so schnell wie mit S- oder U-Bahn kommen die zwar nicht vorwärts. Aber mehr zu sehen gibt es unterwegs allemal - wie auf den folgenden vier Linien.

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Arm und Reich - Linie 25

Straßenbahn nach Grünwald, 2004

Quelle: Catherina Hess

Am Max-Weber-Platz beginnt die Linie 25, so sie denn stadtauswärts fährt, und auf dieser Route streift sie das Leben der Stadt wie sonst kaum eine andere Trambahnlinie. Geboren und gestorben wird hier, gesoffen und Fußball gespielt, durchs Arbeiterviertel Giesing bis nach Grünwald führt die Strecke. Links taucht das grüne Rondell des Johannisplatzes auf, schönstes Haidhausen. Die Kirche ragt empor, zur Rechten sitzen Gäste des Johanniscafés, immer offen und letzte Anlaufstelle der Nachtschwärmer aus dem Viertel. Milch- und Steinstraße, entzückende, mit Wein bewachsene Häuser, "Antifa"-Tags an weniger schönem Mauerwerk. Aus dem Puppenstubenteil der Stadt hinaus zum Rosenheimer Platz. Das Rio Kino zur Rechten, "SMS für dich", "Der Vollpfosten", die Franziskanerstraße hinunter, das Amt für Wohnen und Migration.

Tagsüber steigen am Regerplatz Schüler zu, aber die Schule ist längst aus. Vorbei an Paulaner oder dem, was davon übrig ist. Die Mauern des Ostfriedhofs, die sich auf der anderen Straßenseite in Blumenläden widerspiegeln. Die Tegernseer Landstraße hinunter mit all ihren Imbissen, Schuhläden und dem Woolworth, vorbei am "Schau ma moi", der schönen Boazn. Der erste McDonald's Deutschlands zur Rechten. Und dann: das Stadion. Hohe, graue Mauern und heftige Löwengefühle. Vorbei, und auch vorbei am FC-Bayern-Trainingsgelände. Am Tiroler Platz leuchtet dort, wo mal das beliebteste Konditoreicafé Harlachings war, ein Bioladen. Der Weg durch Harlaching ist ein gerader, zur Linken von Wald gesäumter. Weiter Richtung Grünwald. Grün von beiden Seiten und Zäune, hohe, niedrigere, Jägerzäune, und ab und an der Blick in von stilvollen Lampen erleuchtete Fenster. Kurz nach einem Autohaus voller Sportwägen die Endhaltestelle: Derbolfinger Platz. Die Wendeschleife führt um einen Springbrunnen. Aber auch im reichen Grünwald fehlt an der Endstation der Dönerladen nicht.

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Sightseeing und Autobahn - Linie 18

Skulptur Mae West in München, 2015

Quelle: Catherina Hess

Man muss einen Schultag erwischen und zwar morgens zwischen halb sieben und dreiviertel neun Uhr oder am Nachmittag zwischen 15 Uhr und 19 Uhr, dann kann man das Fahrvergnügen mit der Trambahnlinie 18 um zehn Minuten verlängern und hat die Gelegenheit, unter einem besonderen Monument hindurchzufahren: der Mae-West-Statue am Effnerplatz in Bogenhausen. Von dort verlängerte die MVG vor fünf Jahren die Linie bis nach Sankt Emmeram. Manche Anwohner fürchteten wegen der Tram um ihre Ruhe, inzwischen hat sich ihr Protest beruhigt. Diese Befürchtungen sagen einiges aus über die für eine Großstadt fast schon paradiesischen Verhältnisse, die in dieser bevorzugten Münchner Ecke herrschen.

Eine ruhige Wohngegend mit imposanten Häusern und entsprechend vielen Arztpraxen. Auf der Max-Joseph-Brücke fährt die Tram dann über die Isar und am Rand des Englischen Gartens entlang bis zum Nationalmuseum. Es folgt Sightseeing pur mit der Straßenbahn bis zum Maxmonument durch Münchens gute Stube, das Lehel. Am Isartor rechts die Altstadt. Bei der Weiterfahrt weicht das Stadtensemble zunehmend auf: Unterschiedliche Stile und Epochen, Alt neben Neu, Hässlich neben Gelungen. Ein älteres Paar ist inzwischen zugestiegen, kommentiert besondere Auffälligkeiten. "Wer hat so etwas bloß genehmigt?", fragen sich die beiden mehrmals. "Möchtest du da sitzen?", will sie von ihm wissen, als sie die Cafétische vor der Isarpost an der Sonnenstraße sieht. Nein, zu hektisch, brummt er. In der Tram ist es geruhsamer, rund um den Hauptbahnhof wird dieser Unterschied besonders deutlich. Dann geht es die Bayer- und Landsberger Straße hinaus, die Kulisse wird von den beiden Mitfahrern inzwischen als "richtig greislich" empfunden.

An der Friedenheimer Brücke biegt die Achtzehner nach Süden ab. Einfache Wohnsiedlungen dominieren das Stadtbild. Am Stegener Weg schließlich fährt sie an der Lärmschutzwand der Garmischer Autobahn entlang bis zum Gondrellplatz am westlichen Stadtrand. Endstation. In einer knappen Stunde diagonal durch München, 21 Haltestellen, und viel zu sehen.

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Mitten durch - Linie 19

Justizpalast am Stachus in München

Quelle: Alessandra Schellnegger

Bis vor ein paar Jahren musste man noch einen kurzen Fußmarsch zurücklegen, wenn man in Pasing von der S-Bahn in die Trambahn umsteigen wollte. Erst seit drei Jahren umkurven die 19er-Trams nicht mehr die Mariensäule auf dem Pasinger Marienplatz, wenn sie an der Endhaltestelle umdrehen. Sie halten nun vor dem historischen Pasinger Bahnhofsgebäude. Seither wird die 19er-Tram noch sehr viel intensiver als Ausweichverkehrsmittel genutzt, wenn auf der S-Bahn-Stammstrecke mal wieder gar nichts geht. Bei Großstörungen im Innenstadttunnel wird die 19er regelmäßig von S-Bahn-Nutzern gestürmt - Fotos von völlig überfüllten Tramwagen machen dann auf Twitter und Facebook die Runde. Doch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen - denn eine Fahrt mit der 19er verrät viel über die Landeshauptstadt. Entlang der Strecke von Pasing im Westen bis zur St.-Veit-Straße im Osten zeigt sich München in vielen Facetten. Und die 19er ist die einzige Tram, die mitten durch die Altstadt fährt. Wenn sie sich in der Maffei- und der Perusastraße in die Kurve legt, dann wuselt es geschäftig um einen herum. Leute mit Einkaufstüten, Manager unterwegs zum Geschäftstermin, Touristen mit der Kamera auf dem Weg zum Marienplatz. Das alles sieht man von der Trambahn aus.

Zudem führt der Weg an zahlreichen imposanten Gebäuden vorbei: am Justizpalast am Stachus etwa, an der Oper, an den prachtvollen Bauten an der Maximilianstraße und am Landtag. Aber auch außerhalb der Altstadt lässt sich viel entdecken: Da zeigt sich die Stadt der Einfamilienhäuser, die sich im sogenannten "Österreicherviertel" nördlich der Agnes-Bernauer-Straße ausbreitet. Da sind im Gegensatz dazu die eng bebauten, einstigen Arbeiterviertel, die mittlerweile dem Gentrifizierungsdruck ausgesetzt sind - etwa entlang der Landsberger Straße im Westend oder bei der Fahrt quer durch Haidhausen. Eine knappe Stunde benötigt die Tram für die Strecke von West nach Ost. Man sollte sich die Zeit nehmen.

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Ohne Umweg - Linie 12

Romanplatz

Quelle: lukasbarth.com

Linien wie diese hätten die Münchner gerne mehr: Die 12-Tram verbindet ohne Umweg über die Innenstadt zwei Stadtteile in einer Fahrzeit von 20 Minuten. Ihr Startpunkt ist die geräumige Wendeschleife am Scheidplatz. Den Platz gäbe es ohne Straßenbahn überhaupt nicht. Er wurde vor 60 Jahren im Zuge der Verlängerung der Tram vom Kurfürstenplatz in Richtung Georgenschwaige mit Anbindung zum Kölner Platz angelegt. Durch die Belgradstraße erreicht die "Zwölfer" den Kurfürstenplatz, wo aus dem altehrwürdigen Café Schwabing inzwischen eine Brasserie geworden ist. Weiter geht es zum Nordbad immer der Hohenzollernstraße folgend. Auf dieser beliebten Einkaufsmeile der Schwabinger stehen Biomärkte neben Kebab-Häusern, moderne Boutiquen neben alteingesessenen Textilgeschäften. Dann wird es martialisch: Schwere-Reiter-Straße, Artilleriestraße, Infanteriestraße. Selbst die Haltestelle Barbarastraße hat mit Militär zu tun: Die Heilige ist Schutzpatronin der Artillerie. Die Gebäude linkerhand lassen noch erkennen, dass da einst Kasernen standen. Rechts das krasse Gegenteil: Vor dem Olympiaturm erstreckt sich ein schmuckes neues Wohnquartier, der Ackermannbogen.

Am Leonrodplatz fährt die Tram an einer Wienerwald-Filiale vorbei, ehe internationales Angebot folgt: Griechisch, Italienisch, Indisch, sogar Georgisch und Libanesisch, eigentlich ein Grund, um auszusteigen. Doch die Fahrt geht weiter zum Rotkreuzplatz, dem Mittelpunkt Neuhausens. Jetzt ist der Grauschleier der Wohnblocks weg und die Tram auf der Sonnenseite des Stadtteils, auf der Nymphenburger Straße. Bürgerhäuser aus der Gründerzeit stehen ihr Spalier, bis sie in die Romanstraße einbiegt. Die Fahrt geht durch ein Villenviertel mit parkähnlichen Gärten, ehe sie am Romanplatz nahe dem Schloss Nymphenburg endet.

© SZ vom 19.10.2016/vewo
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