Süddeutsche Zeitung

1000 Aussteller in Riem:Mit Hammer und Kettensäge

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Die Internationale Handwerksmesse lockt jedes Jahr gut 120 000 Besucher an. Superschnipsler und Superreiniger werden zwar auch angepriesen, aber die Schönheit des Handwerks erlebt man vor allem, wenn man den Meistern alter Gewerke bei der Arbeit zuschaut

Von Karl Forster

Es gibt gute Handwerker. Und weniger gute. Der gute stülpt Plastikschuhe über, wenn er (fast) pünktlich gekommen ist. Er baut die neue Küche ohne zu fluchen in die Altbauwohnung mit schiefen Böden und schrägen Wänden ein. Und wenn beim Bohren des allerletzten Lochs Kieselsteine aus der Wand rieseln, flucht er zwar doch: "Die Matz, die kriag i a no nei!" Schafft's aber. Der nicht so gute Handwerker baut die neue Dusche so ein, dass einem beim Testlauf der Duschkopf auf den Schädel knallt. Und er sagt, nein, der Toilettendeckel sei nicht mehr zu retten, was sich dann, nach Aufbietung aller intellektuellen Kräfte seitens des Hausherren, als falsch erweist. Noch bis Sonntag findet man in München kaum einen Handwerker. Sie sind wahrscheinlich alle auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM).

Es gibt zwei Messen dieser Art, die aktuelle internationale, und die Heim & Handwerk im Dezember. Beide sind Publikumsmagneten, wobei die im Winter die lustigere ist mit all den kleinen Ständen für Superkleber, Superreiniger, Superküchenschnipsler. Doch auch auf der frühjährlichen findet man ein paar jener Wunderdingeverkäufer mit Mikroport um den Kopf, die zum Beispiel dieses Superding anpreisen, mit dem sich angeblich die Verstopfung eines jeden Wasserablaufs auflösen lässt. Er macht das auch vor, mit immerwährendem Erfolg. Wer's zu Hause dann in der Not probiert, kann erleben, wie aus dem verstopften Ablauf plötzlich ein Geysir aus Wasser und Dreck bis zur Decke und über alle Wände spritzt. Man hat dann wohl was falsch gemacht.

Doch es wäre unfair, die IHM auf solche Nebensächlichkeiten zu reduzieren. In sieben Hallen zeigen mehr als tausend Aussteller auf 75 000 Quadratmetern, was sie draufhaben in ihrem jeweiligen Metier. Darunter findet man auch handwerkliche Exoten wie beispielsweise die Bundeswehr, die für den Sanitätsbereich wirbt mit dem Spruch: "Hier kämpfst du für deine Patienten, nicht für den Profit." Was immer sie damit sagen will. Geschmückt ist der Stand mit dem Panzerspähwagen Fennek, der mit dem Sanitätsbereich eher weniger zu tun hat. Daneben der FC Bayern: Er ist anwesend in Gestalt eines Lkw der Firma, die damit wirbt, dass sie dessen Fußballer transportiert. Und da gibt es dann noch "das geilste Schneidebrett der Welt" für die Küche, was immer das auch für Koch oder Köchin bedeuten mag.

Überschrieben ist die Handwerksmesse mit "Die nächste Generation". Werbebanner verkünden also "Innovation gewinnt" oder fordern "Handwerk weiterdenken". Man bestaunt Zahntechniker und Hörakustiker, wie sie mit 3-D-Gerätschaften arbeiten. Man sieht, natürlich, zwei Tesla-Modelle, bekommt allerdings auf die Frage, wann denn der versprochene Kleine ausgeliefert werde, keine klare Antwort. Sogar das Bäckerhandwerk hat die E-Mobilität für sich entdeckt. Der Bäcker Schüren aus Hilden bei Düsseldorf hat, ähnlich der Deutschen Post, mit einer Selbsthilfegruppe einen "BV1 Streetscooter" entwickelt und gebaut, also einen 3,5-Tonner-Lieferwagen als E-Mobil mit Bäckereikofferaufbau für knapp 50 000 Euro. Reichweite: knapp 100 Kilometer. Für Hilden passt das wohl. Es wird, gleich ums Eck, auch "das besondere Dach für alle Jahreszeiten" angeboten, als ob man derzeit noch viermal im Jahr das Dach austauschen müsste. Unweit von hier referiert ein kundiger Ingenieur über Sinn und Kunst der Stoßlüftung in Altbauten, nicht ohne auf das hier zu erwerbende Dämmmaterial zu verweisen.

Eine wahre Insel kultureller Wissenserweiterung und Freude am Schönen aber findet sich unter der Rubrik "Immaterielles Kulturerbe" in der Südhälfte der Halle B1. Der etwas sperrige Begriff geht auf ein Übereinkommen der Unesco aus dem Jahr 2003 zurück und greift auch beim Handwerk. Hier sind vor allem Zünfte versammelt, die sich, aus langer Tradition schöpfend, ihren Platz in Gegenwart und Zukunft gesichert haben. Da steht man also dann vor dem Stand B1.161 und glaubt, hier werde vielleicht die Tradition des Osterbrotbackens gepflegt, so wie die beiden vermeintlich Mehl in den Teig klopfen, rollen, schlagen. Doch nein, hier zeigt die Fondazione Villa Fabris, zu Hause in Thiene im Veneto, die Kunst, den richtigen Mörtel für Stuckarbeiten anzumischen, mit edlem Pigment zum Beispiel in der Farbe Oltremare, also Ultramarin.

Ein paar Meter weiter beamt sich der Besucher in den Norden der Republik, nach Dierhagen an der Ostsee. Von dort reiste Dachdeckermeister Martell Peiser an, um die uralte Kunst der Reetdach-Fertigung zu demonstrieren, wie also die gebundenen Schilfrohre so aufs Dach verbracht werden, dass es auf Jahre hin dicht bleibt. Sieht sehr hübsch aus. Und schon riecht man das Holz, das beim Nachbarstand Zentrum des Geschehens ist. Hier hat der Oberammergauer Schnitzer Tobias Haseidl seine Gerätschaften aufgebaut und zeigt gerade einem TV-Team, wie man aus klobigen Holzblöcken mit der Motorsäge in wenigen Minuten eine moderne Büste zaubert, die, versehen mit einem Stück Stoff, plötzlich aussieht, wie eine kunstvoll prächtige, ja fast lebendige Schaufensterpuppe. Der Mann aus der Passionsstadt kann also nicht nur Kreuz und Jesus. Als 2006 der damalige Papst Benedikt München besuchte, schnitzte Haseidl im Auftrag der Staatsregierung für ihn eine "Patrona Bavariae". Und auch Robert Wilson bestellte für seine Salzburger "A Space For Mozart"-Installation bei Tobias Haseidl die Figuren.

Unweit von Salzburg liegt das oberbayerische Peiting. Dort ist die Firma Metallbau Breidenbach zu Hause. Deren Mitarbeiter, jung, lustig und schon mal die Rastazöpfe zum Schopf gebunden, schmieden im Höllenfeuer und mit sanften Hammerschlägen hier feinste Metallwerke. Mit drei Fachschulen arbeitet man im Rahmen des Dualen Ausbildungssystems zusammen, damit dieses immaterielle Kulturgut in die nächste Generation weiter getragen wird. Eine fast gigantisch große Fläche gehört, wie es sich gehört, dann dem Kaiserdom zu Aachen. Der wird ja eigentlich immer irgendwo restauriert und saniert. Derzeit ist an dem Bau, dessen Grundstein unter Karl dem Großen um das Jahr 795 gelegt wurde, unter anderem das größtenteils verschlissene Bleidach in Arbeit. Die Dachdeckerfirma Krings aus Baesweiler arbeitet schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts an der Instandsetzung von berühmten Sakralbauten. Vor Anforderungen, wie hier in Aachen aber, sagt Chef Ralf Krings, habe man noch nie gestanden. Man könnte stundenlang zuschauen, wie seine Mitarbeiter hier an einem sechzehneckigen Turmmodell die Bleischindeln anpassen, zurechtschneiden und verlegen.

Es ist, alles in allem, ein Ort hier in Halle B1, der ein bisschen aus der Zeit - und auch aus dem Rahmen dieser Messe - gefallen zu sein scheint. Doch gibt es hier ja auch Zukunftsweisendes, wie etwa die Firma Electrolyte, "die Traumrad-Schmiede" aus dem Südosten von München mit ihrem "Vorradler S3E Pinion", einer "Weltneuheit". Handwerk also hat, das zeigt sich in nahezu allen Hallen, immer noch goldenen Boden. Doch spiegelt sich auch hier eine Not des aktuellen Zeitgeschehens: An vielen Ständen der Handwerks-Hallen sucht man nach gut geschulten Mitarbeitern. Vor allem nach Auszubildenden, die Lust auf das Abenteuer Handwerk haben, anstatt sich nach dem Abi dem universitären Bologna-System unterwerfen zu müssen.

Es muss ja nicht jedes Handwerk künstlerisch und gar historisch wertvoll sein. In der Regel reicht es, wenn der Handwerker sein Handwerk so beherrscht, dass er nach getaner Arbeit dem Kunden guten Gewissens die Rechnung schicken kann, auch inklusive Fahrkostenpauschale.

Die Internationale Handwerksmesse in Riem läuft bis Dienstag, 13. März. Sie ist täglich von 9.30 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt kostet regulär 15 Euro.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2018
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