100. Todestag von Franz von Defregger:Kein schöner Land in dieser Zeit

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Zum 100. Todestag erinnern ein Katalog und eine Ausstellung an Franz von Defregger. Der Malerfürst lebte großteils in München und bediente das Publikum mit seinen Darstellungen bäuerlichen Lebens. Privat interessierten ihn andere Motive

Von Sabine Reithmaier

Franz von Defregger war Bauer. Im ersten Beruf jedenfalls. Im zweiten als Maler widmete er sich der Darstellung bäuerlichen Lebens, war darin so erfolgreich, dass ihm seine städtischen Kunden die Bilder quasi aus der Hand rissen. In seinen Bildern ist freilich nichts von Hunger, Elend und endloser Plackerei zu spüren, nichts von dem, was sein Alltag auf dem ererbten Ederhof in Osttirol gewesen war. Doch er traf mit seinen romantisierenden Genreszenen den Nerv einer Zeit, in der sich die nervösen Städter des 19. Jahrhunderts nach der vermeintlich intakten Welt der Landleute sehnten.

So weit, so bekannt. Dass der ehemalige Malerfürst (1835-1921) und Superstar der Münchner Szene in den 1870er und 1880er Jahren auch ganz anders malen konnte - impressionistischer, freier, pastoser - das ging in der Flut der heiteren Bauern und lächelnden Dorfschönen komplett unter. Inzwischen ist Defregger hierzulande ohnehin ziemlich in Vergessenheit geraten. Im Gegensatz zu Österreich, wo der Maler, vor allem in Tirol, unverändert populär ist.

Das Ferdinandeum in Innsbruck widmet ihm gerade aus Anlass seines 100. Todesjahrs eine große Retrospektive. Da aber Reisen nach Tirol trotz offener Museen noch immer nicht erwünscht sind, bleibt nichts anderes übrig, als sich einstweilen mit dem Katalog zu begnügen und auf einen späteren Besuch zu hoffen. "Mythos - Missbrauch - Moderne" - der Titel weist schon auf die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten hin, die Defreggers Werk bietet. Er war eben nicht nur ein reaktionärer Bauernmaler, sondern auch derjenige, der 1862 das "Porträt eines Afrikaners mit weißem Kopftuch" festhält oder die "Rothenburger Fassade". Eine Überraschung sind auch die zahlreichen Aktdarstellungen, fast alle im Familienbesitz, die in größerem Rahmen noch nie zu sehen waren. Es habe wohl kaum einen Künstler seiner Zeit gegeben, der so radikal zwischen einer öffentlichen und privaten Malerei unterschieden habe, schreibt Peter Scholz, Kurator der Ausstellung, im Katalog-Essay.

In seiner Zeit war Defregger auf jeden Fall einer der am meist reproduzierten Künstler im deutschsprachigen Raum, die Werke wurden global gehandelt. Sogar William Henry Vanderbilt, Erbe des Eisenbahn-Moguls Cornelius Vanderbilt und damals reichster Mann Amerikas, gab 1881 das Bild "Gute Aussicht" bei ihm in Auftrag. Noch heute hängen zahlreiche Defregger in amerikanischen Museen. Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben sich aber vor allem seine historischen Gemälde, in denen er Geschichte und Genre dramaturgisch geschickt verquickt. Andreas Hofer etwa, den Südtiroler Freiheitshelden, stellen sich die meisten genauso vor, wie ihn Defregger einst malte.

Mit den Werken zum Tiroler Freiheitskampf gelang ihm 1869 der Durchbruch, vielleicht auch weil er nie Schlachten abbildete. Er konzentrierte sich vielmehr auf emotional besonders aufgeladene Entscheidungsmomente, sei es im "Letzten Gang" Hofers in Mantua oder im "Kriegsrat Andreas Hofers im Jahr 1809". Bis heute illustrieren die Werke dieses Zyklus' den Tiroler Aufstand gegen die französisch-bayerischen Besatzer im Jahr 1809. Und sie verraten auch, wie geschickt Defregger gegenüber seinen Kunden agierte. So ziehen in "Peter Sigmair, der Tharerwirt von Olang" nicht die marodierenden Bayern durch Tirol - was der historischen Wahrheit entsprochen hätte - sondern französische Soldaten. Die antifranzösischen Ressentiments der Gründerzeit mussten schließlich bedient werden.

Verblüffend ist das Tempo der unglaublichen Karriere. 1835 wird er in Stronach als fünftes von acht Kindern des Ederhofbauern geboren. Noch ohne "von", das erhält er erst 1883, ausgezeichnet mit dem Verdienstorden der Bayerischen Krone. Er ist gerade 23 Jahre alt, als er nach dem Tod des Vaters den Hof erbt und zunächst auch bewirtschaftet. Doch Missernten, Hungersnöte und der Gedanke, nach Amerika auszuwandern, veranlassen ihn zum Verkauf.

Aus der Auswanderung wird nichts, daher zieht er 1860 nach Innsbruck, ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben des Ortspfarrers an den dort unterrichtenden Bildhauer Michael Stolz. Der erkennt Defreggers malerisches Talent und nimmt ihn mit nach München. 1861 beginnt der junge Mann an der Akademie zu studieren, bricht aber wegen Unterforderung nach zwei Semestern ab und begibt sich auf Wanderschaft. Zwei Jahre lebt er in Paris, lernt die Freilichtschule der Maler von Barbizon kennen, beschäftigt sich mit dem Realismus Courbets.

1865 kehrt er nach München zurück und bleibt, wenn er nicht gerade in seiner Ferienvilla in Bozen weilt, sein restliches Leben lang hier, bedient als angesehener Akademieprofessor für Historienmalerei den Geschmack des städtischen Publikums. "Das Bäuerliche war ihm Geschäftsmodell geworden, das bäuerliche Leben hingegen hatte er längst hinter sich gelassen", schreibt Kurator Scholz in seinem Katalog-Essay. Defreggers berühmtester Schüler an der Akademie in München war, wenn auch nur kurz, Lovis Corinth, der sich selbst ganz hinreißend mit einem Tirolerhut porträtierte.

Defreggers Gemälde waren so beliebt, dass sie auf Bällen, aber auch im Theater als lebende Bilder aufgeführt wurden. So vermerkt ein Programmzettel des Stadttheaters Würzburg 1892 das lebende Bild "Der Salontyroler nach Defreggers gleichnamigen Gemälde". Aber die Münchner High Society spielte sie auch gern auf den "Bauernbällen" nach.

Der Künstler war aber nicht nur ein ausgezeichneter Maler, sondern ein cleverer Kunstunternehmer, der jede Gelegenheit nutzt, um sein Werk durch Reproduktionen zu verbreiten. Um 1870 streiten sich die Kunstverlage darum, wer seine Bilder reproduzieren darf - das Exklusivrecht erhält schließlich der Münchner Verlag Franz Hanfstaengl. Defregger scheut sich auch nicht, sich selbst zu kopieren und manche seiner Arbeiten nahezu identisch zu wiederholen, den berühmten "Zitherspieler" ebenso wie "Die Brautwerbung". So viel merkantilen Sinn fanden auch manche seiner Zeitgenossen befremdlich. "Manches auf seinen Bildern ist unzweifelhaft gut beobachtet; erscheint nur jetzt nicht mehr so, weil es durch unendliche Wiederholungen zu einer Trivialität geworden ist", merkt ein Journalist einer Kunstzeitschrift im Jahr 1900 an.

Nicht anzulasten ist Defregger seine posthume Rezeption durch die Nationalsozialisten. Seine Sujets passten einfach zu gut ins nationalsozialistische Kunstverständnis. Doch hat die ideologische Vereinnahmung vermutlich zum Vergessen des Malers mit beigetragen. Gut, dass man ihn jetzt in Innsbruck neu entdecken kann.

Defregger. Mythos - Missbrauch - Moderne , bis 16. Mai, Ferdinandeum, Innsbruck. Der Katalog, erschienen im Hirmer-Verlag, kostet 45 Euro

© SZ vom 05.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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