Süddeutsche Zeitung

100 Jahre Elly Seidl:Ein halbes Jahr für eine neue Praline

Lesezeit: 3 min

Konstantin Wecker oder Jutta Speidel kaufen bei Elly Seidl besondere Naschereien ein. Und selbst der Münchner Oberbürgermeister soll dafür eine Schwäche haben.

Von Franz Kotteder

Weggeputzt sind sie ja immer schnell, sobald man die Packung aufgemacht hat. Insofern verwundert es einen schon, dass ihre Herstellung mitunter ganz schön lange dauert. "Für die Entwicklung einer neuen Praline", sagt Maximilian Rambold und scheint selbst ein bisschen darüber zu staunen, "brauchen wir alles in allem fast ein halbes Jahr." Man probiert herum, versucht es mal mit dieser und jener Füllung. Dann lässt man ein paar Leute probieren, auf deren Urteil man Wert legt, das Personal in den Filialen zum Beispiel oder ein paar Stammkunden. Und unter Umständen ändert man dann die Rezeptur wieder. So gehen die Wochen ins Land, vielleicht geht es dann noch um die Verpackung, und im Handumdrehen sind wieder sechs Monate vorüber.

Aber: kein Mitleid! Pralinenentwickler bei Elly Seidl, das wäre doch ein Traumjob. Auf alle Fälle für Münchner, die Süßigkeiten mögen. Denn für die gilt Elly Seidl seit Jahrzehnten als allererste Adresse. Man merkt das zum Beispiel in der Adventszeit vor der Filiale in der Maffeistraße 1. Da steht nämlich Tag für Tag eine ziemlich lange Schlange geduldig wartender Menschen vor einem kleinen Laden. Eine halbe Stunde kann es schon dauern, bis man vom Ende der Straße vorgerückt ist bis zur Ladentür.

Champagnertrüffel, gezuckerte Bitternugat oder...

...lieber eine Torte?

Wie wäre es mit Trockenfrüchten handgetunkt in belgischer Schokolade? So oder...

...als Geschenk?

Kunden, die bei Elly Seidl einkaufen, haben die Qual der Wahl.

Seit 100 Jahren...

...wird fast alles handgefertigt.

Etwa mit diesen Rührutensilien.

Das Geschäft leiten Maximilian Rambold (Foto) und sein Bruder Oliver.

Und nach dem Eintreten dauert es dann noch einmal, weil die Schlange sich drinnen im Laden noch einmal faltet und zu guter Letzt immer jemand vor einem an der Reihe ist, der sich nicht so recht entscheiden kann, ob er jetzt fünf Champagnertrüffel nimmt und dazu acht gezuckerte Bitternugat oder doch lieber sechs Domino Blanche und neun Weinbrandkirschen mit Stiel? Genuss will manchmal hart erarbeitet sein, keine Frage. Für jemand, der nur schnell ein Verlegenheitsgeschenk braucht und dazu die große Familienpackung Pralinen einkaufen will, ist Elly Seidl eindeutig nicht die beste Lösung.

Dieser Tage nun feiert die Pralinenmanufaktur Elly Seidl ihr 100-jähriges Bestehen, und Maximilian Rambold ist recht froh, dass dieses Jubiläum nicht in die Weihnachtszeit fällt, wenn in der Firma Hochsaison herrscht. Rambold ist zusammen mit seinem Bruder Oliver der Eigentümer der Firma Elly Seidl, und während sein Bruder sich um die Produktion kümmert, ist er für den Vertrieb und das Kaufmännische zuständig. Mit der historischen Elly Seidl sind die beiden nicht verwandt. Das wäre auch schlecht möglich, denn genau genommen hat es diese Elly Seidl nie gegeben.

Als Barbara Grathwohl 1918 ihren kleinen Feinkostladen in der Maximilianstraße aufmacht, wählt sie als Namen für das Geschäft eine Kombination aus ihrem Mädchennamen Seidl und dem Vornamen ihrer Tochter Elly. Pralinen gibt es anfangs dort gar nicht, die kommen erst ins Sortiment, als Kunden danach fragen. Praktischerweise übernimmt Tochter Elly 1928 das Geschäft und heiratet einen Konditor, womit der Expansion ins Süßwarengewerbe nichts mehr im Wege steht. Vorerst aber beschränkt man sich noch auf den Verkauf von Firmenware, "die Eigenproduktion beginnt eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg so richtig", sagt Rambold.

Die Rambolds - beziehungsweise ihr Vater Helmut und seine Frau Beatrice - kommen erst in den Sechziger- und Siebzigerjahren ins Spiel. Damals fertigte der freie Konditormeister Rambold in einem Pasinger Hinterhofkeller Pralinen für die beiden Geschäfte in der Innenstadt und in der Pasinger Spiegelstraße. 1972 pachten sie die Firma, im Jahr 2000 übernehmen sie das Geschäft ganz und zahlen Ellys Erben aus.

Seitdem wächst das Unternehmen ordentlich. Erst zieht man mit der Produktion von Pasing nach Planegg in fünfmal so große Räume, 500 statt 100 Quadratmeter, doch auch dort wird es schnell zu klein. 2007 kaufen die Rambolds der Konditoreninnung ein Grundstück in Gräfelfing ab und bauen darauf bis 2012 einen neuen Firmensitz mit vier Etagen. Er wird wohl noch ein paar Jahre ausreichen.

Das Geschäft läuft jedenfalls gut, und seit man 2005 "mit Hilfe eines Bekannten einer Bekannten eines Bekannten" (Maximilian Rambold) den ersten Online-Shopaufgemacht hat, wächst der Versand ständig weiter. Außer im Sommer. Denn, so Rambold: "Wenn es zu heiß ist, verschicken wir nicht." Dass es kaum Reklamationen gibt, darauf sind die Rambolds stolz, bei gut 100 000 Kunden im Jahr. Bestellungen kommen aus aller Welt, und es gibt auch einige prominente Fans, die sich jetzt zum 100-Jährigen outen. Willy Bogner, Konstantin Wecker, Jutta Speidel oder Michaela May gehören ebenso dazu wie Christa Kinshofer oder die Karl-Valentin-Erbin Rosemarie Scheitler. Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), hört man, hat eine Schwäche für Elly-Seidl-Pralinen.

Grob gerechnet verlassen mittlerweile jedes Jahr gut fünf Millionen Pralinen die Produktionsstätte in Gräfelfing. Um die 60 Mitarbeiter - die vor Weihnachten schon mal um die 100 werden - stellen sie her und bringen sie an die Kunden. Das Hauptgeschäft läuft in den sechs Filialen, neben den vier in München gibt es auch eine in Gräfelfing und eine in Starnberg. Die Kunden bleiben treu, auch wenn sie sich vor Weihnachten in die Schlange einreihen müssen.

Wobei das gar nicht mehr so nötig ist, denn jetzt gibt es ja die Filiale im Tal 40. "Wir haben festgestellt" sagt Maximilian Rambold, "dass zum Beispiel asiatische Touristen vor der Sprachbarriere zurückschrecken und lieber eine der Hausmischungen nehmen, als die Pralinen einzeln auszuwählen. Deshalb verkaufen wir im Tal jetzt vor allem solche Packungen." Japaner, Chinesen und Koreaner werden es Elly Seidl danken. Und die Käufer von Verlegenheitsgeschenken natürlich auch.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2018
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