Profil:Zsolt Balla

Erster Militärrabbiner eingeführt

Er trage die Last der Geschichte auf seinen Schultern, sagt Zsolt Balla bei seiner Amtseinführung als Militärbundesrabbiner im Juni in Leipzig.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Seit mehr als 100 Jahren der erste Militärrabbiner in Deutschland.

Von Marlene Knobloch

Historische Schritte geht man selten unbemerkt. Auch wenn Zsolt Balla, 42, lieber etwas stiller vorangegangen wäre. Der Rabbiner mag das Rampenlicht nicht besonders, selbst wenn es so sanft strahlt wie die siebenarmigen Leuchter in der Leipziger Synagoge. Aber er ist nun mal seit mehr als 100 Jahren der erste Militärrabbiner Deutschlands und damit ein ausgewiesenes Ereignis. Die letzten gab es im Ersten Weltkrieg, einem Krieg, in dem 12 000 jüdische Soldaten starben und für deren Einsatz man sich in der Weimarer Republik mit antisemitischen Verschwörungsmythen wie der "Dolchstoßlegende" bedankte.

So steht er als Zeichen der Hoffnung in dunkelblauer Krawatte bei seiner Amtseinführung am Rednerpult, während die Kameras des MDR seine zitternden Finger und sein Lachen live übertragen und eine dankbare Verteidigungsministerin vor ihm sitzt, die verkündet hatte, endlich sollen Judentum und Bundeswehr "wieder Normalität" werden.

Dass es weniger normal, sondern ein "Wunder" sei, betont der Rabbiner Andreas Nachama in seiner Rede und fragt sich, ob seine Eltern, beides Holocaust-Überlebende, ihn wohl für "meschugge" halten würden, sähen sie diese Zeremonie. Balla, der auch Landesrabbiner von Sachsen ist, sagt, er spüre die Last der Geschichte auf seinen Schultern.

Als er neun war, sagte seine Mutter: "Wir müssen reden."

Dass er als militärischer Seelsorger einmal ein Symbol für das Zusammenfinden von Judentum und deutscher Bundeswehr würde, hätte Balla als Jugendlicher nie geahnt. "Aber es gibt einen großen Ozean, und manchmal muss man sich aufs Wasser legen und sich treiben lassen", sagt er. Der Ozean sei das Judentum. Und die Wellen trugen ihn aus Ungarn, wo er geboren ist, dorthin, wo er heute steht: unter den goldenen Davidstern der Leipziger Synagoge. 2002 kam er nach Deutschland, um ein Jahr in Berlin an einer Talmud-Hochschule zu lernen. Er blieb dann doch etwas länger als geplant.

Dabei wusste er, bis er neun Jahre alt war, nicht einmal, dass er jüdisch ist. Balla wuchs in Budapest auf. Sein Opa sagte ihm: Man kann dir alles nehmen, sogar deine Unterschrift, aber was du im Kopf hast, kann dir keiner nehmen. Also las er viel und fand sein Lieblingsbuch: die Bibel. Als er eines Sonntags einen katholischen Lesezirkel besuchen wollte, sagte seine Mutter: "Wir müssen reden." Sie erklärte ihm, dass er Jude sei. Da begann der junge Balla, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Er erfuhr die Geschichten seiner Familie, auch die schrecklichen. Der Bruder seines Opas wurde im Zwangslager ermordet. Ballas Tante überlebte Auschwitz, seine Mutter und seine Oma erhielten von schwedischen Diplomaten falsche Papiere und überlebten in Budapest.

"Der Gerechte fällt sieben Mal, aber er steht wieder auf", zitiert Balla aus der Bibel; er sorgt sich ja nun von Amts wegen um die Seele einer Armee, die auch acht Jahrzehnte nach dem Holocaust nicht frei von Rechtsextremismus ist.

Einmal weinte ein muslimischer Soldat bei ihm

Balla hat Respekt vor der Bundeswehr, sein Vater war Offizier, er kennt die Welt der Panzer, Uniformen und Abzeichen. Wie viele jüdische Soldaten und Soldatinnen es genau gibt, weiß er nicht. Man schätzt die Zahl auf etwa 300, aber sie ist ihm nicht wichtig. Er sieht sich als Seelsorger für alle Religionen, auch für Muslime, für die es noch keinen Militär-Imam gibt. Einmal fiel auf einer interreligiösen Rüstzeit ein traumarisierter muslimischer Soldat in die Arme des Rabbiners und weinte. Balla hat erlebt, dass sich muslimische Soldaten dem Rabbiner näher als dem Militärbischof fühlten. Und fast am wichtigsten sei für ihn der Kampf gegen Antisemitismus: Im lebenskundlichen Unterricht erzählt er Soldatinnen und Soldaten über das Judentum und hofft damit, Vorurteile zu beseitigen.

Seine Arbeit sei seine Berufung, sagt Balla. Er ist froh, wenn er nach Interviews, Fotos und Händeschütteln "endlich" mit ihr beginnen darf. Denn sie mache ihn zum "glücklichsten Mensch der Welt".

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