Missbrauch im Erzbistum Köln:Ein System, das Täter schützte

Ostfassade des Kölner Doms Köln 29 07 2019 *** East facade of Cologne Cathedral Cologne 29 07 201

Die Ostfassade des Kölner Doms im Gegenlicht.

(Foto: Christoph Hardt/Future Image/imago images)

Das Gutachten zum Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln beschreibt eine Routine der Verantwortungsvermeidung, es ist alles andere als ein Dokument der Gefälligkeit. Doch das reicht noch nicht, um den Frieden wiederherzustellen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Gäbe es die bitteren Konflikte nicht im Erzbistum Köln, den desaströsen Umgang mit dem ersten, bislang zurückgehaltenen Missbrauchs-Gutachten, die Instrumentalisierung des Betroffenenbeirats, die hilflosen Entschuldigungen von Kardinal Rainer Maria Woelki - dann könnte man sagen: Björn Gercke und sein Team haben ein respektables Gutachten erstellt über den Umgang der Verantwortlichen mit Fällen von sexualisierter Gewalt. Es ist alles andere als ein Dokument der Gefälligkeit.

Seine Veröffentlichung hat noch am gleichen Abend dazu geführt, dass Hamburgs Erzbischof Stefan Heße Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten hat. In seiner Zeit in Köln hat er schwere Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen gemacht; vor allem aber hat er alle bekämpft, die dies öffentlich machen wollten. Heßes Rückzug ist nur konsequent: Wie hätte er noch glaubhaft über Umkehr und Wahrhaftigkeit predigen können?

Ja, es ist wichtig, die Namen der Verantwortlichen für das systemische Versagen der katholischen Kirche offen zu benennen. Dass dies jüngst in Berlin nicht geschah, ist ein Ärgernis. In Köln haben neben Heße die verstorbenen Kardinäle Joseph Höffner und Joachim Meisner ihre Pflichten verletzt, der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, der emeritierte Generalvikar Norbert Feldhoff. Sie waren Teil eines System der Verantwortungsvermeidung, das Täter schützte und Betroffene als Störenfriede behandelte. Allein schon durch die Wurstigkeit der Aktenführung zeigten sie, dass für sie Gewalt gegen Schutzbefohlene ein Schmuddelding am Rande war und nicht den Kern ihres Bekenntnisses traf.

Frieden im Erzbistum? Dafür ist zu viel Vertrauen kaputtgegangen

Das Gutachten entlarvt die Lüge von Kardinal Meisner, der 2010 in gespieltem Entsetzen behauptet hatte, erst jetzt von den schlimmen Taten zu erfahren - und in Wahrheit eine persönliche Handakte mit dem schönen Titel "Brüder im Nebel" führte. Es lässt die Darstellung des Generalvikars Feldhoff bröckeln, dass Meisner alles an sich gezogen habe: Er hatte lange den einzigen Zugang zum "Giftschrank" mit den Akten der Täter.

Kardinal Woelki wird in dem 900-Seiten-Werk entlastet. Das kann man so sehen, das zurückgehaltene Gutachten der Münchner Kanzlei kommt zum selben Schluss. Das Problem des Gercke-Gutachtens liegt woanders. Es liegt in der Selbstbegrenzung auf die Perspektive der Institution: Wo wurden die jeweils geltenden Regeln verletzt? Gab es keine Regeln, gab es auch nichts zu verletzen. Das ist der Unterschied zu der Untersuchung in Aachen, wo die Münchner Kanzlei WSW fragte: Was hätte aus Sicht der Betroffenen und Gefährdeten passieren müssen?

Genau dieser Perspektivwechsel ist geboten: weg von den Bedürfnissen der Institution hin zur Sichtweise der Betroffenen. Ein Missbrauchsfall aus dem Jahr 1975 mag lange her sein. Doch die Gewalt, die damals ein zehnjähriges Kind traf, lebt zerstörerisch weiter, in einem heute 56-jährigen Erwachsenen. Sie ist nicht Geschichte. Sie ist Gegenwart. Dieser Perspektivwechsel steht noch aus, nicht nur im Erzbistum Köln übrigens.

Woelki hat nun seinen Weihbischof und seinen Offizial entpflichtet. Den Frieden wird das nicht ins Erzbistum zurückbringen. Zu viel Vertrauen ist kaputt, zu viel Frust hat sich selbst bei treuen Gläubigen festgefressen. Nach Heßes Rücktritt dürfte auch dem Kardinal kaum eine andere Möglichkeit bleiben.

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Woelki-Gutachten zu Missbrauch im Bistum Köln

Missbrauch im Erzbistum Köln
:Hamburgs Erzbischof Heße bietet Papst Franziskus seinen Rücktritt an

Zuvor war in Köln ein Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch vorgestellt worden, das Heße belastet. Kardinal Woelki wird durch das Gutachten entlastet - er entbindet zwei hochrangige Amtsträger mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben.

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