Wirtschaftspolitik:Träumerei auf französisch

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Frankreich hadert mit sich selbst - und ist deshalb vom deutschen Leerverkaufs-Verbot umso mehr irritiert. Kommt Präsident Sarkozy die europaweit harsche Kritik an Merkel zupass?

Michael Kläsgen

Die europäische Integration, man erinnere sich, ging von Frankreich aus. Robert Schuman und Jean Monnet gaben im Mai vor 60 Jahren den Anstoß zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Von Anfang an war der Leitgedanke, Deutschland künftig einzubinden, um den Kontinent vor neuem Unheil zu bewahren. Der Einigungsprozess vollzog sich anschließend vor allem auch aus einem Grund recht harmonisch: Frankreich fühlte sich der Einbindung Deutschlands sicher. Dieses Gefühl ist in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise abhanden gekommen.

Präsident Sarkozy und Kanzlerin Merkel - wohin steuert Europa? (Foto: Foto: Reuters)

Frankreich ist verunsichert über das "neue Deutschland", das angeblich "ohne Komplexe" auftritt, einen "Sonderweg" einschlägt oder sogar "näher an den Ural" rückt. Deutschland braucht Europa nicht mehr, klagen die Kommentatoren. Als x-tes Beispiel ziehen sie das deutsche Verbot für ungedeckte Leerverkäufe heran. Die französische Finanzministerin zeigte sich "irritiert" über den "deutschen Alleingang".

Die Irritation wäre nur halb so groß, wenn Frankreich gleichzeitig nicht auch zutiefst verunsichert über sich selbst und über seine eigene Kraft wäre, die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise zu meistern. Das Land wird geradezu aufgefressen von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen gerade gegenüber dem exportstarken deutschen Mittelstand. Den hätte man auch gerne und verkündet daher die Exportmarke "Made in France".

Andererseits rühmt sich Frankreich stolz seines soliden Bankensektors und gibt vor, besser als alle anderen aus der Krise zu kommen. Insgeheim träumt die politische Elite davon, die Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Ein Ziel, dem man sich zu nähern glaubt allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung. 2050, so heißt es, werde Frankreich Deutschland als bevölkerungsreichstes Land ablösen.

"Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt" - wären diese erratischen Gefühlsschwankungen nicht von Goethe in Worte gefasst worden, sie hätten von einem zeitgenössischen französischen Schriftsteller stammen können. Niemand verkörpert dieses Im-Unreinen-mit-sich-Sein besser als der derzeitige französische Präsident. Im Herbst 2008 mimte er den Weltenretter, nun inmitten der Griechenland- und Eurokrise, ist es merkwürdig ruhig um ihn geworden. Seit der Niederlage bei den Regionalwahlen im März schickt er, welch ein Paradigmenwechsel, seine Minister vor.

Doch auch die geben Zeugnis über die französische Widersprüchlichkeit ab: Die Finanzministerin geißelt die deutschen Exporte als illoyal, des Industrieministers neue Strategie indes lautet, eben jenem Exportmodell nachzueifern. Die Finanzministerin hält den Euro nicht für bedroht, der Haushaltsminister sah ihn in "Lebensgefahr". Mehrere Minister warnen vor einem deutschen "Spardiktat" für Europa, der Premierminister ruft dazu auf, 100 Milliarden Euro zu sparen. Das Frankreich unter Sarkozy weiß nicht mehr, wie es sich gegenüber diesem unbekannten Gebilde rechts des Rheins verhalten soll.

Manches wirkt deswegen ungewollt linkisch, hilflos und inkohärent. In Deutschland glauben führende Ökonomen wie Hans-Werner Sinn, Frankreich habe die Bundeskanzlerin beim Spannen des 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirms über den Tisch gezogen. Doch dafür gibt es keine Belege. Solche Unterstellungen gehören dringend ausgeräumt.

Andererseits stimmt es, dass der sonst nicht wortkarge Präsident Angela Merkel mit keinem Halbsatz in Schutz nimmt, wenn die französische Presse unablässig auf sie eindrischt. So wird man den Eindruck nicht los, ihm komme die europaweit harsche Kritik an ihr sogar zupass. Aber mit welchem Nutzen? Um anschließend wie Phönix aus der Asche aufzusteigen? Der Präsident ist zu lange im Geschäft, um sich auf dieses waghalsige Kalkül einzulassen. Es wäre gleichwohl an der Zeit, dass Frankreich mit sich und Deutschland ins Reine kommt. Europa täte das gut. Denn die Regel, wonach sich Frankreich und Deutschland am Ende immer einigen, wäre eine schlechte Regel, würde das nur noch mit der Brechstange gelingen.

© SZ vom 21.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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