Es war die schiere Not, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier am Dienstag zu einem brisanten Geständnis getrieben hat. Einen Tag, bevor die EU-Kommission eigene Berechnungen vorlegen wird, hat der auch für Energie zuständige Minister einräumen müssen, dass der Strombedarf bis 2030 um fast ein Fünftel höher ausfallen wird als bisher angenommen.
Mit dem Eingeständnis des Ministers, lange Zeit an der Wirklichkeit vorbei kalkuliert zu haben, ist die deutsche Energiewende um ein Problem reicher. Schon die bisherigen Mängel sind beachtlich. Kein anderes Industrieland weltweit leistet sich so hohe Energiepreise, kein Land steigt praktisch auf einmal aus allem aus - Kohle, Kernenergie, Erdgas. Um künftig genau das Gegenteil dessen zu machen, was man jahrzehntelang für unumstößlich gehalten hatte, nämlich auf verschiedene Energiequellen zu setzen. Stets galt die alte Volksweisheit, niemals alle Eier in einen Korb zu legen. Jetzt gilt: Heizen, Stahlschmelzen, Autofahren, Kochen - alles soll künftig elektrisch gehen.
Ist grüner Wasserstoff die Lösung? Tja. Woher kommt der wohl?
Die Frage ist: Wo soll der zusätzliche Strom herkommen, den es braucht, weil Autos, Heizungen und Stahlwerke mit Elektrizität angetrieben werden und weil die Bürger und Firmen sich gern immer noch das neueste Gerät anschaffen? Altmaier redet gern dem grünen Wasserstoff das Wort. Das klingt gut, ist aber fahrlässig. Denn grünen Wasserstoff kann man nicht abbauen, der wächst auch nicht auf Bäumen. Grüner Wasserstoff muss erzeugt werden und dafür braucht man - genau - auch wieder Strom. Und zwar grünen.
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Altmaiers Alternative, deutlich mehr Strom zu importieren, ist eine alte Idee, die schon x-mal hochgejubelt und danach zu den Akten gelegt worden ist. Man denke nur an die Pläne, gigantische Stromkabel aus Nordafrika nach Nordeuropa zu verlegen, Solarstrom aus der Wüste, Desertec, was für tolle Träume waren das! Verwirklicht wurden sie nicht. Zu teuer, zu abhängig, nicht kontrollierbar. Die Argumente von damals gelten heute noch.
Unter diesen Umständen bleibt die Variante übrig, die vielen Bürgern nicht gefallen wird. In der Nähe vieler Wohngebiete, auf Hügeln und im Meer werden gigantische Windparks entstehen müssen. Mal zum Vergleich: Die im Jahr 2019 installierten Windräder lieferten 106 Terawattstunden Strom, genug, um 27 Millionen Haushalte zu versorgen. Im Jahr 2030 werden in der Bundesrepublik laut Wirtschaftsminister rund 665 Terawattstunden Elektrizität benötigt werden, um das alltägliche Leben und die Volkswirtschaft am Laufen zu halten.
Es braucht Anlagen und Trassen - in Baden-Württemberg und Bayern
Altmaiers Geständnis ist das Signal, dass die jahrelang schon betriebene Methode nicht weiter funktionieren kann, nur die dünn besiedelten Regionen im Osten mit Windrädern vollzustellen, um im Rest der Republik das grüne Gewissen zu beruhigen. Ohne zusätzlichen Strom droht der Blackout. Auch Bayern oder das grün regierte Baden-Württemberg werden damit leben müssen, dass Stromtrassen und Windräder demnächst ihre Landschaften optisch brechen.
Wenn die Bundesbürger das nicht wollen und trotzdem darauf bestehen, dass Strom einfach weiter aus der Steckdose kommt, bleibt nur die Alternative, sich das mit dem Ausstieg aus Atom und Gas nochmals zu überlegen. So wie es bisher läuft, wird die nächste Bundesregierung die nächste Energiewende auflegen müssen.