Süddeutsche Zeitung

Strafrecht:Fluch der guten Tat

Die Bundesrepublik muss Whistleblower endlich besser schützen. Die EU macht es vor.

Von Ronen Steinke

Hätte sie mal geschwiegen, die Fleischfabrik-Mitarbeiterin Sabine T.! Hätte sie mal ihren Mund gehalten, als sie mitbekam, wie an ihrem Arbeitsplatz im Schlachthof Tönnies in Rheda-Wiedenbrück auf den Corona-Infektionsschutz gepfiffen wurde. Aber sie musste ja unbedingt Alarm schlagen, die Öffentlichkeit informieren, das heißt: womöglich Menschenleben retten. Die Folge: Sabine T. wurde achtkant hinausgeworfen. Selber schuld, sagte ihr hinterher ein Arbeitsgericht.

Diese deutsche Rechtslage ist erbärmlich, schädlich nicht nur für die Geltung von Recht und Gesetz hinter Firmentoren, sondern auch in eklatantem Widerspruch zu den Werten, die eine Gesellschaft hochhalten sollte. Es braucht ein Whistleblower-Gesetz, das verhindert, dass Mitarbeiter für das Hinweisen auf illegale Machenschaften abgestraft werden; ein Sabine-T.-Gesetz. Die EU verlangt das längst. Es gibt eine Whistleblower-Richtlinie. Deutschland setzt sie nicht um. CDU und CSU meinen: Höchstens beim Aufdecken von Verstößen gegen EU-Recht sollten Leute geschützt sein; nicht aber, wenn es um deutsches Recht geht.

Whistleblower ist englisch und bezeichnet einen Menschen, der eine unbequeme Wahrheit ans Licht bringt und dafür geehrt wird. Nestbeschmutzer ist deutsch und bezeichnet einen Menschen, der eine unbequeme Wahrheit ans Licht bringt und dafür verachtet wird.

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