Es zeugt eigentlich von Weitsicht, dass die EU zum dritten Mal in drei Jahren einen Westbalkan-Gipfel abhält. Die sechs Länder der Region zählen zur direkten Nachbarschaft, enge Beziehungen sind erstrebenswert. Leider hat sich am inoffiziellen Motto, das in Brüssel kursiert, wenig geändert: Die EU gibt vor, sich um Erweiterung zu bemühen und die Länder tun so, als würden sie sich reformieren.
Natürlich gibt es in den Ländern viel zu tun, etwa im Kampf gegen die Korruption. Aber die größte Schuld an der Misere tragen die Mitgliedstaaten. Beispielhaft zeigen sich alle Probleme der EU. Erstens ist sie zerstritten, was ihre Prioritäten angeht: Während Ost- und Südeuropäer die Region eng an die EU binden wollen, bremsen Franzosen und Skandinavier - aus Angst vor Populisten zu Hause. Die Bremser verlangen auch EU-interne Reformen, doch da tut sich nichts. Zweitens: Die EU wirkt heuchlerisch. Warum sollen Regierungen unangenehme Reformen im Justizwesen anpacken, wenn Ungarn und Polen den Rechtsstaat abbauen können, ohne dass es Konsequenzen hat?
Ihre Versprechen hält die Union nicht ein: Nordmazedonien hat sogar den Namen geändert, um Griechenland zu beruhigen, aber Beitrittsgespräche bleiben blockiert. Nun legt Bulgarien, seit Monaten im Wahlkampf, ein Veto ein. Das dritte Problem der EU: die Unfähigkeit, strategisch zu agieren. China und Russland nutzen den Frust in der Region für sich. Zudem verkauft die EU ihre Erfolge zu schlecht. Auf dem Westbalkan ist sie der wichtigste Investor, der bevorzugte Handelspartner und liefert Corona-Impfstoffe.
Die neue Bundesregierung sollte für eine EU-Politik werben, die realistischer ist. Konkrete Reformen müssen für die Beitrittskandidaten Folgen haben, vor einer EU-Mitgliedschaft könnte als Zwischenschritt der Zugang zum Binnenmarkt stehen. Davon sind Serbien, Montenegro oder Albanien noch weit entfernt. Aber sie müssen wenigstens spüren, dass sich Anstrengungen lohnen.