Süddeutsche Zeitung

Profil:Valérie Murat

Die Winzerstochter kämpft gegen den ausgiebigen Pestizideinsatz in Bordeaux, einem der prestigereichsten Weinbaugebiete der Welt.

Von Leo Klimm

Einen Tag bevor ihr Vater starb, machte Valérie Murat ihm ein Versprechen. "Er gab mir einen Auftrag", sagt sie. "Ich schwor, diesen Auftrag zu erfüllen." Kurz zuvor hatte James-Bernard Murat der Tochter einen Stapel an Bedienungsanweisungen für Pestizide übergeben, die er säuberlich gesammelt hatte. Der Winzer, beteuert Valérie Murat, hatte sich jahrzehntelang an diese Anweisungen gehalten. Trotzdem erkrankte er an Lungenkrebs, der laut Diagnose wohl durch ein Mittel gegen Pilzbefall verursacht worden war. Das war 2012. Seitdem arbeitet Murat an der Erfüllung ihres Auftrags - und kämpft gegen den ausgiebigen Pestizideinsatz in Bordeaux, dem vielleicht prestigereichsten Weinbaugebiet der Welt.

An diesem Donnerstag erreicht Murats Kampf einen vorläufigen Höhepunkt. Ein Gericht in Libourne urteilt über die Beschwerde des Bordeaux-Weinbauverbands CIVB und zwei Dutzend weiterer Kläger. Sie werfen Murat und ihrem Verein "Alerte aux Toxiques" Verleumdung vor. Rund 450 000 Euro Entschädigung verlangen sie, weil Murat 22 Weine mit dem vermeintlichen Umweltprädikat HVE untersuchen ließ und das Ergebnis öffentlich anprangerte: Sämtliche Flaschen enthielten Rückstände von gesundheitsgefährdenden Pflanzenschutzmitteln, durchschnittlich waren es acht verschiedene. Das klingt nach viel, und es ist legal.

In Murats Prozess geht es daher um die Frage, ob der Pestizid-Pranger vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Und es geht um den guten Ruf der Bordeaux-Weine, mit dem die Hersteller jährlich vier Milliarden Euro erlösen. Der Fall erinnert an den Südtiroler Apfelstreit, in dem Obstbauern aus der norditalienischen Region ebenfalls rechtlich gegen Kritik von Umweltschützern am Pestizideinsatz vorgehen.

"Sie wollen mich zum Schweigen bringen", sagt Murat. Im Bordeaux-Gebiet herrsche eine regelrechte Omertà, ein mafiöses Schweigegesetz, behauptet sie. Wer aufmucke, gelte als Nestbeschmutzer und muss Gängeleien und berufliche Nachteile fürchten. Denn die Weinlobby ist stark, die Abhängigkeiten sind es auch. Allein 50 000 Jobs hängen direkt an dem berühmten Rotwein. Die Pestizide schützen diese Jobs: Der Gifteinsatz bewahrt in dem feuchtwarmen Klima Südwestfrankreichs, das Schädlingen beste Bedingungen bereitet, vor verheerenden Ernteausfällen.

Murat, 48, entzieht sich den Abhängigkeiten schon lange, sie macht lieber einen Verwaltungsjob in der Stadt Bordeaux. Früh redet ihr der Vater aus, auch Winzerin zu werden. "Der Beruf ist hart, und wenn man keines der Spitzen-Châteaux wie Lafite-Rothschild besitzt, lebt man nicht gut davon", sagt sie. Das elterliche Gut ist heute verpachtet, "leider kein Bio-Anbau".

"Ich bin grundsätzlich wütend", sagt Murat

Pestizid-Tests macht Murat öfter. Überall in der Gegend hat sie schon Rückstände nachgewiesen. In Wohnungen, auf Schulhöfen, in Gewässern, in der Luft. Der Zorn darüber, dass ihr Vater mit 70 Jahren sterben musste, treibt sie immer noch an. "Ich bin grundsätzlich wütend", sagt sie. Die Ruhe, mit der sie das ausspricht, ändert daran nichts.

Ihr Widersacher, der CIVB-Verband, will sich vor dem Urteil nicht äußern. Klar ist aber: Das Anbaugebiet steckt in der Krise, eine Überproduktion an Mittelklasse-Weinen, US-Strafzölle und Corona setzen dem Geschäft zu. Da macht Murats Bordeaux-Bashing die Winzer besonders reizbar. Zumal einige von ihnen unter dem Druck veränderter Kundenerwartungen allmählich umstellen auf biologischen Anbau, und damit auf sanftere Methoden zum Schutz der wertvollen Reben.

Auch die Winzer sind also wütend. Schlichtung erscheint in diesem erbitterten Streit unmöglich. "Es kann keinen Vergleich geben", bestätigt Valérie Murat. "Ich bin keine Frau der Kompromisse." Sie hat eine Mission: null Pestizide im Bordeaux.

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