Süddeutsche Zeitung

Justiz:Staatsanwälte sollten nicht den Wahlomaten nachjustieren

Strafverfolger sehen sich gern als Angehörige der "objektivsten Behörde der Welt". Der Streit um die Ermittlungen im Finanzministerium aber zeigt: Es kommt nicht nur auf das objektive Handeln an, sondern auch darauf, wie es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Von Nicolas Richter

Träumt ein junger Strafverfolger davon, an der Spitze einer Kolonne von Polizeiautos Verbrecher zu jagen, wird er von seinen Ausbildern schnell wieder eingefangen: Er solle sich nicht in blindem Verfolgungseifer verlieren, sondern nüchtern nach der Wahrheit suchen. Referendare hören oft den alten Spruch, die Staatsanwaltschaft sei die "objektivste Behörde der Welt". Gute Ermittler sollen demnach zwar entschlossen sein, aber keine voreiligen Schlüsse ziehen und sich immer selbst hinterfragen.

Wie schmal der Grat des Objektiven ist, hat nun die Staatsanwaltschaft Osnabrück vorgeführt, die systemische Mängel bei der deutschen Geldwäschebekämpfung untersucht. Sie ist jüngst mit Durchsuchungsbeschlüssen in zwei Berliner Ministerien aufgetaucht und lenkte damit die Aufmerksamkeit einerseits auf sich selbst, andererseits auf Olaf Scholz, den Finanzminister und Kanzlerkandidaten. Haben mutige Ermittler hier schlicht das objektiv Notwendige getan? Oder haben sie unsensibel ihr Verfahren politisiert, indem sie im Wahlkampf einen Schatten auf Scholz warfen, obwohl sie gar nicht gegen ihn persönlich ermitteln?

Durch ihr Auftreten haben die Ermittler in Osnabrück Spekulationen wuchern lassen

Deutschlands Staatsanwälte haben es nicht leicht mit der Objektivität. Erstens sind sie den Justizministerien unterstellt und damit womöglich politisch motivierten Weisungen ausgesetzt. Zweitens kämpfen sie ständig mit Ressourcenmangel und müssen deswegen pragmatisch gewichten, welchen Fällen sie wie intensiv nachgehen, was große Spielräume für eigenes Ermessen lässt.

Drittens muss die "objektivste Behörde" damit leben, dass ihr Handeln in der Öffentlichkeit subjektive - unter Umständen sehr hartnäckige - Eindrücke erzeugt. Wird ein Mensch verhaftet oder angeklagt oder hat er die Ermittler im Haus, so kann der Ruf dauerhaft beschädigt sein, auch wenn am Ende ein Freispruch steht. Staatsanwälte sollten deswegen so diskret wie möglich vernehmen und durchsuchen - denn all dies steht ja erst einmal nur für die Wahrheitssuche, nicht für deren Ergebnis. Die Zurückhaltung liegt auch im eigenen Interesse: Je weniger sich Strafverfolger öffentlich festlegen, desto größer ist der Spielraum bei der Bewertung des Falls.

Dass die Staatsanwaltschaft Osnabrück nun ermittelt, ob es bei der erstarrten deutsche Geldwäschebekämpfung zu Strafvereitelung gekommen ist, das ist notwendig und verdienstvoll. Durch ihr Auftreten aber haben die Ermittler Spekulationen wuchern lassen: Eine Durchsuchung so kurz vor der Wahl, im Ministerium eines Kanzlerkandidaten, verbunden mit einer vieldeutigen Pressemitteilung - es hat den Staatsanwalt dem Vorwurf ausgesetzt, er verfolge politische Ziele. Und die Öffentlichkeit ist mehr verwirrt denn informiert: Dass Scholz das Versagen der Geldwäschebekämpfung politisch zu verantworten hat, ist längst bekannt. Substanzielle neue Erkenntnisse über seine Rolle gibt es nicht.

In Osnabrück betont man, objektiv und streng nach Strafprozessordnung gehandelt zu haben. Aber es spricht viel dafür, dass die Ermittler das gesuchte Material mit weniger Aufwand und Aufsehen hätten bekommen können. Mindestens aber haben sie verkannt, dass eine der Objektivität verpflichtete Behörde mitdenken muss, wie ihr Handeln wahrgenommen wird. Staatsanwälte sollten nicht den Wahlomaten nachjustieren. Sie sind für geräuschlose Aufklärung zuständig, nicht dafür, dem Geraune neue Nahrung zu geben.

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