Wahl in Wien:Die FPÖ ist am Boden, nicht zerstört

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Der ehemalige FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache und Bundesfinanzminister Gernot Blümel (ÖVP) bei der Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien. (Foto: Georges Schneider/imago images/photonews.at)

Warum das Ergebnis der Wien-Wahl weniger aussagekräftig ist, als die Sieger wohl wahrhaben wollen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

In Wien ist nach dem Wahlsonntag eine große - und gefährliche - Zufriedenheit ausgebrochen. Die SPÖ hat ihren Heimvorteil genutzt und zugelegt. Die Grünen und die liberalen Neos haben zugelegt. Die ÖVP hat zugelegt. Die Rechtspopulisten, die FPÖ sowie die Privatabspaltung ihres früheren Chefs, Heinz-Christian Strache, sind eingebrochen und werden, zumindest vorläufig, weder auf Landes- noch auf Bundesebene eine wichtige Rolle spielen.

Strache hatte zwar noch am Wahltag mit dem Slogan für sich geworben: "Was tut den Mächtigen und Verleumdern am meisten weh? Eine Stimme für HC!", aber die Wähler mochten weder den Rachefeldzug gegen seine ehemalige Partei noch den Überlebenskampf der FPÖ selbst unterstützen. Außerdem hatte die ÖVP in Wien ohne Berührungsängste mit den Freiheitlichen einen strammen Rechtskurs gefahren und einen Teil dieser Stimmen eingesammelt.

Aber die ÖVP hat eben nur einen Teil eingesammelt. Ohnehin wäre es unwahrscheinlich, dass die türkise Regierungspartei und ihre regionalen Anbieter dauerhaft und allein dafür sorgen wollen und können, dass rechts von der ÖVP kein Platz mehr ist. 40 Prozent der Wähler in Wien sind am Sonntag lieber daheimgeblieben und haben gar nicht abgestimmt; sehr viele von ihnen hatten, das zeigt die Wählerstromanalyse, vorher FPÖ gewählt. Sie warten womöglich entweder darauf, dass sich ihre alte Partei berappelt - oder dass sich eine neue, nicht durch den Ibiza-Skandal, Straches Spesenaffäre und interne Machtkämpfe beschädigte Partei am rechten Rand anbietet.

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Neben der niedrigen Wahlbeteiligung ist aber vor allem auch die Zusammensetzung der Wahlberechtigten ein Thema, das die Sieger aus ihrer verdienten Nach-Wahl-Erschöpfung reißen müsste. Ein Drittel der Wiener ab 16 Jahren ist gar nicht wahlberechtigt, weil sie keinen österreichischen Pass haben; in manchen Stadtteilen ist es fast die Hälfte. Darunter sind viele junge Menschen, die in Wien geboren sind. 80 Prozent der Nichtwahlberechtigten leben schon viel länger als fünf Jahre in der Hauptstadt.

Nur: Der ÖVP-Spitzenkandidat in Wien, Finanzminister Gernot Blümel, hatte unter anderem damit zu punkten versucht, dass Wohnungen in Gemeindebauten nur noch an Bewerber mit passablen Deutschkenntnissen vergeben werden sollen. Und die ÖVP-geführte Bundesregierung sowie ihr Kanzler stehen auf dem Standpunkt, gesellschaftlich partizipieren könne man auch in einem Ehrenamt. Es steht daher nicht zu erwarten, dass von dieser Seite eine Initiative für den leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft oder zum Ausländerwahlrecht kommt.

Aber auch die Sozialdemokraten im roten Wien haben sich bisher nicht durch besonderes Engagement in dieser Frage hervorgetan. Bürgermeister Michael Ludwig formulierte das, betont staatstragend, so: "Ich persönlich bin immer der Meinung, dass das Wahlrecht bei den gesetzgebenden Körperschaften verbunden sein sollte mit der Staatsbürgerschaft."

Die Wahlrechtsfrage anzugehen würde ohnehin bedeuten, ein Fass aufzumachen und frische Wut bei den am Boden liegenden Rechtspopulisten zu schüren. ÖVP und SPÖ, die früher unter "Volksparteien" liefen, werden kein Risiko eingehen und die steigende Zahl der Menschen mit "Migrationshintergrund" weiter aufwerten. Selbst wenn diese Teil des Volkes sind.

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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