US-Wahl:Sieg der Ungewissheit

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Erschöpfte Wahlhelfer, wie dieser Mann in Michigan, zählen immer noch Stimmzettel aus, während die Welt und auch die Wirtschaft darauf wartet zu erfahren, wer der nächste US-Präsident wird. (Foto: AFP)

Viele Stunden nach Schließung der Wahllokale in den USA ist nicht klar, wer der nächste Präsident wird. Und selbst wenn ein Sieger feststeht, stehen die Chancen auf einen nachhaltigen Wiederaufschwung schlecht.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Amerika hat gewählt - doch wer Präsident wird, war auch viele Stunden nach Schließung der Stimmlokale noch ungewiss. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist das der schlechteste Wahlausgang, den man sich hätte vorstellen können, denn das mögliche Patt und der sich anbahnende Rechtsstreit vergrößern zunächst einmal jene Unsicherheit, die Firmen und Verbraucher in aller Welt seit Ausbruch der Corona-Krise ohnehin lähmen: Wer investiert schon in neue Fabriken, wer macht sich selbständig oder geht auf Reisen, solange die Pandemie wütet und unklar ist, ob die größte Volkswirtschaft der Welt weiter Teil des Problems oder endlich Teil der Lösung sein wird? Ein klares Wahlergebnis, insbesondere ein Sieg des Herausforderers Joe Biden, hätte für ein wenig Entspannung sorgen können. Stattdessen kommt ein weiteres Problem hinzu.

Das gilt zunächst mit Blick auf die Seuche selbst, deren Eindämmung Grundvoraussetzung für jede konjunkturelle Erholung ist. Donald Trump hat das bis heute nicht verstanden, er verstand es nicht einmal, als er selbst an Covid-19 erkrankte. Das Ergebnis sind 80 000 Neuinfizierte und tausend Tote allein in den Vereinigten Staaten - jeden Tag. Das ist nicht nur menschlich-moralisch eine Bankrotterklärung, es erschwert angesichts der weltwirtschaftlichen Bedeutung der USA auch eine globale Konjunkturwende. Gelingt Trump oder Biden nicht doch noch ein Wahl-Durchbruch, könnten die USA womöglich für Wochen politisch gelähmt sein - ein Fest für das Virus und sein tödliches, Vertrauen zersetzendes Treiben.

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Die Chancen für einen Wiederaufschwung stehen schlecht

Doch selbst wenn binnen Tagen klar sein sollte, ob der amtierende Präsident weitermachen kann oder seinen Platz räumen muss, stehen die Chancen des Landes auf einen nachhaltigen Wiederaufschwung und eine grundlegende Runderneuerung der Wirtschaft schlecht. Denn egal ob Trump oder Biden: Der künftige Präsident wird in den kommenden zwei Jahren wohl mindestens eine der zwei Kammern des Kongresses gegen sich haben. Damit dürfte Trumps Plan, die Konjunktur durch eine weitere Steuersenkung noch einmal zu befeuern, ebenso obsolet sein wie Bidens Vorhaben, bis zu zwei Billionen Dollar in den ökologischen Umbau der Industrie zu stecken.

Die Welt muss erst einmal allein klarkommen

Noch viel schwerer wiegt: Nach dieser Wahl werden die USA wohl auch auf mittlere Sicht kein einziges ihrer massiven strukturellen Probleme angehen, die das Wachstum seit Jahren dämpfen und die wirtschaftlichen Aussichten trüben. Da sind die Menschen in den ehemaligen Industrieregionen des Mittleren Westens, die seit Jahrzehnten immer tiefer in einem Sumpf aus Arbeitslosigkeit, Landflucht und Medikamentenabhängigkeit versinken. Da ist das Bildungs- und Ausbildungssystem, das zwar Investmentbanker, Unternehmensberater und Burger-Verkäufer hervorbringt, aber kaum Facharbeiter. Da ist das Gesundheitswesen - bei einer reinen Preis-Leistungs-Betrachtung das teuerste und ineffizienteste der gesamten entwickelten Welt. Und da ist der Rassismus im Land, der nicht nur eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist, sondern auch ein gravierendes ökonomisches Hemmnis, weil er millionenfach Talent verschüttet, statt es zu nutzen.

Für die anderen Weltregionen heißt das, dass sie auf sich schauen, Corona allein besiegen und ihre Volkswirtschaften ohne Hilfe wieder auf Kurs bringen müssen. Auf die USA zumindest sollten sie sich bis auf Weiteres nicht verlassen.

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