Profil:Wendy Sherman

Profil: "Eiserne Faust in einem Samthandschuh": Die Vizeaußenministerin der USA, Wendy Sherman.

"Eiserne Faust in einem Samthandschuh": Die Vizeaußenministerin der USA, Wendy Sherman.

(Foto: Tom Williams/AP)

Vizeaußenministerin der USA, besondere Fähigkeit: das Kitten von Vertrauen.

Von Matthias Kolb

Es ist ein überraschendes Thema, mit dem Wendy Sherman beginnt. Eigentlich soll die US-Vizeaußenministerin bei einem Thinktank in Brüssel über die "aktuellen und künftigen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten, der EU und China" reden, doch Sherman wünscht zunächst der Belgierin Sophie Wilmès viel Kraft. Diese tritt als Außenministerin für einige Monate ab, weil bei ihrem Mann Krebs diagnostiziert wurde. Zu Studenten oder jungen Diplomatinnen, so Sherman, sage sie stets: "Wenn eure Karriere vorbei ist, dann bleiben neben der guten Arbeit, die ihr hoffentlich gemacht habt, vor allem eure Familie und Freunde." Daher sei es wichtig, diese nicht zu vergessen und Zeit mit ihnen zu verbringen.

Wie entscheidend enge persönliche Beziehungen und Respekt für das transatlantische Verhältnis sind, zeigt sich spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine. Und Sherman trägt entscheidend dazu bei, das von Donald Trump zerstörte Vertrauen wiederherzustellen. Dass sie selbst mehr als nur "gute Arbeit" leistet, daran besteht kein Zweifel.

In den Neunzigerjahren verhandelte sie für Außenministerin Madeleine Albright mit Nordkorea über Raketen und Atomwaffen. Heute kümmert sie sich als Stellvertreterin von Antony Blinken um jene Dossiers, die viel Detailkenntnis, akribische Vorbereitung und Menschenkenntnis erfordern. Diese Fähigkeiten hat Sherman 2015 als Chefunterhändlerin für das Atomabkommen mit Iran bewiesen. Den Fehler, die zierliche 72-Jährige zu unterschätzen, macht auf der Weltbühne niemand - in Washington nennt man sie wegen ihrer Hartnäckigkeit "eiserne Faust in einem Samthandschuh".

Der Jüdin, deren Großmutter in der heutigen Ukraine geboren wurde und die in Baltimore aufwuchs, gelang es auch, ein belastbares Verhältnis mit den Hardlinern aus Teheran aufzubauen. Aus dieser Zeit kennt sie auch den Russen Sergej Rjabkow, mit dem sie seit Sommer 2021 über nukleare Abrüstung und "strategische Stabilität" verhandelt. Sherman vertrat auch die USA, als der Nato-Russland-Rat im Januar versuchte, Putins Angriffskrieg auf die Ukraine abzuwenden.

Vor allem um den ging es bei ihrem Besuch in Brüssel. Bei der Nato sprach sie mit Botschaftern über Waffenlieferungen und die Neuausrichtung der Militärallianz. Im Europaviertel traf sie Björn Seibert, den Büroleiter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der eine zentrale Rolle spielt in der Koordination der Sanktionen, die gegen Moskau verhängt wurden. Auch an diesem Dossier arbeitet Sherman mit, die zugibt, von der Schnelligkeit und Geschlossenheit des Westens überrascht zu sein: "Wir sollten auch mal stolz sein, uns auf die Schulter klopfen und dann weiterarbeiten."

"In was für einer Welt sollen meine Enkel aufwachsen?"

Die meiste Zeit verbrachte sie mit ihrem "lieben Freund" Stefano Sannino, der Nummer zwei im Europäischen Auswärtigen Dienst. Die beiden leiten den "EU-USA-Dialog über China", um die Politik gegenüber Peking eng zu koordinieren. Die Hoffnungen der Europäer, Präsident Xi könnte mäßigend auf Putin einwirken, wurden bitter enttäuscht. Sherman wiederholte schwere Vorwürfe: China verurteile russische Kriegsverbrechen nicht, und seine Staatsmedien verbreiteten die Propaganda des Kreml. Sollten die Sanktionen gegen Moskau unterlaufen werden, hätte dies Folgen.

Dass sie trotz Putins Revisionismus den Wettstreit mit China für die größte Herausforderung hält, daran lässt Sherman keinen Zweifel. Es gehe um einfache Fragen: "Wie soll die Zukunft aussehen? In was für einer Welt sollen meine Enkel aufwachsen, die heute sechs und acht Jahre alt sind?" Sie wolle, dass diese weiter ihre Meinung sagen und die Regierung kritisieren dürfen - und das Internet ein Ort für Information und Innovation sei. Wer Sherman genau zuhört, ahnt, was man in der Regierung von Joe Biden denkt: Die Geschlossenheit des Westens gegenüber Russland ist auch ein Test für den künftigen Umgang mit China. Und die Europäer sollten auch ihr Verhältnis zu China und ihre Abhängigkeiten überdenken.

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