Süddeutsche Zeitung

Wahlausgang in den USA:Am Ende der Nacht

Was für eine Befreiung, welch Erleichterung: Die Stimmen sind gezählt, Donald Trumps Tage auch. Der Wahlsieger Joe Biden erbt eine Last wie keiner seiner Vorgänger. Er muss Amerika einen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die Stimmen sind gezählt, die Wähler haben entschieden. Die Mehrheit der Amerikaner will einen Wechsel an der Spitze ihres Staates. Nach quälenden Tagen mit schwankenden Hochrechnungen und halbseidenen Drohungen ist sich die überwältigende Zahl der Datensammler sicher, dass Joe Biden der Sieg in der Präsidentschaftswahl nicht mehr zu nehmen ist.

Man muss dies so vorsichtig ausdrücken, denn gewählt wird Biden erst im Kollegium der Wahlleute. Bis dahin kann Donald Trump noch viel Schande anrichten. Er würde seiner Nation einen Dienst erweisen, wenn er nun die Niederlage eingesteht und abtritt. Es wäre die erste positive Tat in vier Jahren.

Donald Trump ist besiegt. Wie die Teufelsaustreiber laufen sie in New York und anderswo durch die Straßen und schlagen auf Kochtöpfe. An das Ende dieses Schreckens will man nicht so recht glauben. Aber die einhellige Schlussfolgerung aller großen Nachrichtensender und Agenturen der USA entfaltet eine tsunamihafte Wirkung. Dieser Lärm, diese Wucht sollte auch die Mauern des Weißen Hauses erschüttern. Die Botschaft ist so glasklar, dass sie nicht durch Klagen und auch nicht durch den harten Kern seiner Anhänger umgestoßen werden kann. Joe Biden soll Präsident werden. Donald Trump bleibt ein one-termer, ein Präsident mit nur einer Amtszeit. Sie war lang genug.

Biden ist, was die USA gerade brauchen

Joe Biden steht im hohen Alter auf dem Gipfel einer langen und verdienstvollen politischen Karriere. Er ist ein moderater Zentrist, ein eher langweiliger Technokrat, kein Visionär, kein Tribun. Er ist, was die USA möglicherweise am meisten brauchen: ein Besänftiger.

Donald Trump hat sein Land quer durch die Hölle geführt. Er hat die Welt auf diesem albtraumartigen Weg in Geiselhaft genommen. Er hat Normen zerstört und Regeln gebrochen, aufgewiegelt und gespalten. Er hat seinen krankhaften Narzissmus gefüttert mit dem Seelenfrieden der Nation. Die Bilanz seiner Präsidentschaft heißt Zerstörung. Der Auftrag der Biden-Präsidentschaft wird heißen: Heilung und Wiederaufbau.

Joe Biden wird die Führung der USA in einem Moment überantwortet, wo über die Friedfertigkeit des Übergangs und die Stabilität der Institutionen noch keine Aussage getroffen werden kann. Die Tage nach der Wahl haben gezeigt, welch explosive Ladung in dieses Land hineingepumpt wurde. Diese Spannung in der Gesellschaft zu entschärfen, politische Vernunft und die Bereitschaft zum Kompromiss wieder als Norm der Arbeit in Washington zu installieren und die Welt mit einem neuen Amerika vertraut zu machen - das ist nun die unendliche Last, die Biden zu tragen hat. Er hat dabei alle Hilfe verdient.

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