Süddeutsche Zeitung

Tech-Branche:Teile und kontrolliere

Lange Zeit haben US-Regierung und Parlament tatenlos zugesehen, wie die Tech-Konzerne und andere große Firmen immer mächtiger geworden sind. Jetzt dreht sich der Wind. Endlich.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Größe allein ist noch kein Beleg dafür, dass ein Konzern seine Marktmacht missbraucht. Das ist das Hauptargument, mit dem sich Amazon, Apple, Google und Facebook auch gegen die jüngste Initiative amerikanischer Parlamentarier wehren, die Dominanz der vier Konzerne auf dem amerikanischen Tech-Markt zu brechen. Und ja, die Unternehmen haben recht: Größe allein ist kein Kriterium, schließlich muss sich auch der weltgrößte Autohersteller Toyota keine Monopolvorwürfe gefallen lassen.

Und doch liegt genau hier der Unterschied: Wer ein Auto kauft, hat die Wahl zwischen zwei Dutzend Herstellern und mehr als 100 Marken. Wer aber online einkauft, ein Programm auf dem iPhone installieren möchte, im Internet nach etwas sucht oder Kontakt zu Freunden halten will, landet beinahe zwangsläufig bei Amazon, Apple, Google oder Facebook.

Die Wettbewerbspolitik muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen

Lange Zeit sah man darin in den USA kein Problem, denn seit der großen Liberalisierungswelle unter Präsident Ronald Reagan wird eine Firma nur noch belangt, wenn sie ihre beherrschende Stellung für Preiserhöhungen missbraucht. Gratisanbieter wie Google und Facebook können nach dieser Definition also gar keine Monopole sein. Ein absurdes Konstrukt, denn die Konzerne werden für ihre Dienste selbstverständlich fürstlich entlohnt: in Kundendaten, die sie über den Verkauf von Werbung zu Geld machen.

Es wird höchste Zeit, dass die US-Wettbewerbspolitik im 21. Jahrhundert ankommt, denn die Tech-Branche ist mitnichten die einzige, die von immer weniger immer größeren Firmen beherrscht wird. Das Gleiche gilt etwa für die Luftfahrt-, die Pharma-, die Finanz- und die Lebensmittelindustrie - mit verheerenden Folgen: Die Zahl der Unternehmensgründungen sinkt seit Jahren, ausgerechnet im Start-up-Land USA gibt es immer weniger Start-ups. Ein Grund dafür ist, dass etwa die Tech-Riesen junge Firmen mit neuen Ideen oft aufkaufen, bevor sie ihnen gefährlich werden können.

Zu große Marktmacht zerstört die Innovationskraft

Eine zu starke Marktkonzentration zerstört die Innovationskraft einer Volkswirtschaft. Sie fördert Ungleichheit, weil sich immer mehr Vermögen in den Händen einiger weniger bündelt. Sie gefährdet die Lebensmittelversorgung, weil ein einziger Corona-Ausbruch bei einem der wenigen verbliebenen Schlachthofkonzerne des Landes reicht, um die Fleischlieferkette zu unterbrechen. Sie zerstört kleine Geschäfte und hinterlässt verödete Stadtviertel. Sie nimmt Menschen Wahlmöglichkeiten und unterminiert die Machtverteilung in demokratischen Gesellschaften. Sie drückt Löhne, fördert Scheinselbständigkeit und zerstört Jobs, auch wenn Amazon-Bewunderer an dieser Stelle gerne auf die 1,3 Millionen Menschen verweisen, die bei dem Konzern arbeiten. Studien zeigen jedoch, dass für jeden neuen Arbeitsplatz bei Amazon andernorts zwei verloren gehen.

Noch weiß niemand, ob die jetzt vorgelegten Gesetzentwürfe in den USA jemals beschlossen werden. Auch kann die "Zerschlagung" eines Konzerns, auf die mancher jetzt schon hofft, nur das letzte Mittel sein. Bis dahin wäre es schon ein Anfang, wenn die Firmen endlich strikt reguliert würden und sich von einzelnen Töchtern trennen müssten - Google von Youtube etwa oder Facebook von Instagram. Ein wichtiges Signal jedoch ist die Initiative der Abgeordneten allemal, denn sie zeigt: Nach vier Jahrzehnten des sträflichen Wegschauens beginnt sich in der US-Wettbewerbspolitik der Wind zu drehen.

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