Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Wie in den USA eine rechte Minderheit wütet

Im Land geht die Sorge vor Unruhen nach der Präsidentenwahl um. Alles nur Panikmache? Mitnichten: Eine rechte Randgruppe versucht gerade, die Mehrheit einzuschüchtern - sogar in Pick-up-Trucks auf dem Highway.

Kommentar von Reymer Klüver

Die Bilder sind bedrückend. Trump-Anhänger, die auf der Autobahn in Texas einen Wahlkampfbus von Joe Biden bedrängen; auf ihren Pick-up-Trucks flattern Fahnen im Fahrtwind wie einst bei den Wüstenkämpfern der IS-Terrormiliz. Der Präsident stachelte die Leute auch noch an: "Ich liebe Texas", twitterte er danach.

Oder Trump-Anhänger, die eine Brücke auf einer der mehrspurigen Ausfallstraßen von New York blockieren, Parolen skandierend, Plakate schwenkend. Demokraten in Georgia, die eine Demonstration gegen Einschüchterungsversuche potenzieller Wähler aus Furcht vor Zwischenfällen absagen, weil sich schwerbewaffnete Milizionäre in der Nähe des geplanten Versammlungsorts zusammenrotteten.

Das sind keine isolierten Zwischenfälle mehr. Dahinter steht ein Muster. Eine rechte Minderheit versucht gerade, die Mehrheit einzuschüchtern. Vorneweg der Bully-Präsident im Weißen Haus.

Es ist nicht nur das entgleist, was man etwas hochtrabend den politischen Diskurs in Amerika nennen könnte. Das gesellschaftliche Klima der Toleranz, der Respekt für die andere Meinung sind verloren gegangen. Das Gefühl, Grundwerte gemeinsam zu haben, ist weg. Daran ist nicht nur der unsägliche Präsident schuld, den Amerika und die Welt jetzt schon fast vier Jahre erdulden mussten.

Diese Entwicklung hatte sich schon seit Jahren in den USA abgezeichnet. Die Verbissenheit, mit der die Republikaner in den Neunzigerjahren versuchten, den demokratischen Präsidenten Bill Clinton zur Strecke zu bringen, war ein Vorgeschmack. Dann ein Jahrzehnt später die Tea-Party-Bewegung, die in ihrer Radikalität und Intoleranz die Trump-Ära vorwegnahm. Aber Trump selbst hat die Polarisierung auf die Spitze getrieben und fördert sie nach Kräften.

Die Amerikaner spüren das. Längst hat sich eine Atmosphäre schwerer Anspannung übers Land gelegt. Mehr als die Hälfte der US-Bürger machen sich laut Umfragen mittlerweile große Sorgen, dass ihre jahrhundertealte Demokratie in akute Gefahr gerät. Aber es sind nicht nur vage Ängste. Es gibt tatsächlich konkrete Befürchtungen, dass es in den kommenden Tagen zu schweren Gewaltausbrüchen kommt.

Das National Guard Bureau in Washington hat eine Spezialeinheit zur Bekämpfung von Unruhen zusammengezogen. Der US-Einzelhandelsverband hat in einer Videokonferenz Empfehlungen ausgesprochen, wie sich Läden vorbereiten könnten. In New York und anderswo werden Schaufenster verbarrikadiert. Facebook hat Tools zur Deeskalation vorbereitet, die das Unternehmen offenbar in Sri Lanka und Myanmar bereits erprobt hat. Und ein Kolumnist der New York Times schreibt: "Die Wochen nach der Wahl könnten leicht die gefährlichsten Wochen in diesem Land seit dem Bürgerkrieg werden."

Alles nur Panikmache? Schön wäre es. Man kann eigentlich nur hoffen, dass das Votum gegen Trump so klar ausfällt, dass keine Zweifel am Ergebnis gerechtfertigt sind. Wenn nicht, stehen den Vereinigten Staaten schwere Zeiten bevor.

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