US-Wahl I:Bidens Welt

Der Kandidat der Demokraten hat unter den Erwartungen abgeschnitten, selbst wenn er gewinnt. Denn er hat es versäumt, Trumps Wählerklientel eine bessere Zukunft in Aussicht zu stellen.

Von Stefan Kornelius

Zu den ewigen Wahrheiten im amerikanischen Wahlkampf gehört, dass Präsident nur werden kann, wer die Antithese zum Vorgänger und den Aufbruch in eine neue Zeit darstellt. So verkörperte Bill Clinton das Gegenteil von Georg Bush dem Älteren; so verhielt es sich zwischen Bush Junior und Barack Obama und schließlich zwischen Obama und Donald Trump. Joe Bidens Problem: Er ist zwar die Antithese zu Trump, aber er kommt aus der Vergangenheit. Mit ihm lösen die Wähler ein Ticket für eine Reise zurück in die gute alte Zeit, nicht in die Zukunft.

Joe Biden hat in dieser Wahl, selbst wenn er sie gewinnt, unter den Erwartungen abgeschnitten. Er hat es nicht vermocht, die unfassbare Abgründigkeit der Trump-Präsidentschaft in eine wuchtige Wählerbewegung zu seinen Gunsten zu lenken. Seine Mobilisierungsfähigkeit war zwar enorm, aber er hat die Trump'sche Wählerklientel nicht ernsthaft ins Wanken gebracht. Ein Biden-Sturm hat Trump jedenfalls nicht hinweggefegt.

Dieser Mangel an Eindeutigkeit legt einen Schatten auf Bidens Wahlkampf. Vier Jahre Trump haben offenbar nicht ausgereicht, um die Soziografie der republikanischen Wähler zu ergründen und sie mit einem überzeugenden Angebot in großer Zahl auf die demokratische Seite zu ziehen.

Es reicht nicht, einfach "nicht Trump" zu sein

Biden hat es aus zwei Gründen nicht vermocht, ihre Sprache zu finden und Trumps Anziehungskraft zu brechen. Für beides kann er nichts. Erstens verkörpert er nach 26 Jahren im Senat und acht Jahren im Weißen Haus jene Elite aus Macht, Bildung und Wohlstand, die Trump erfolgreich zum Ziel seines Furors gemacht hat. Und zweitens führt er eine Partei an, die auch und besonders das inklusive, multiethnische Amerika der Städte vertritt, nicht das weiße Amerika der ländlichen Regionen.

Beide Gründe sprechen nicht gegen die Person Biden, aber sie erklären, warum gerade dieser Mann die Polarisierung nicht brechen kann, von der Trump lebt. Es reicht nun mal nicht, lediglich "nicht Trump" zu sein. Und es reicht nicht, über den Sünder zu predigen, wenn man in den Augen der Gemeinde kein Heiliger ist.

Amerika hat eine wuchtige Gefühlsentscheidung getroffen. Sie zeugt von einer Spaltung der Gesellschaft entlang der Mittellinie. Die eine Hälfte nimmt Stil, Regelbruch und Führungsdefizite des Präsidenten in Kauf, weil ihr Idol immer noch heller strahlt. Die Aussicht auf eine Normalität à la Biden kann sie nicht überzeugen. Die andere Hälfte verzehrt sich in ihrer Empörung über Stil, Regelbruch und Führungsdefizit - kennt aber auch nicht den Weg aus dem Jammertal der Verzagten, die unter zu viel Tempo, Modernisierung, Weltdruck und der neuen amerikanischen Demografie leiden.

Der Zorn auf den Präsidenten hat mobilisiert

Bidens Aufholjagd in den Wechselstaaten, seine hauchdünne Führung in manchen dieser Staaten, verdankt er einer Kraftanstrengung, die aus der Trump-Wut geboren wurde. Der Zorn auf den Präsidenten hat mobilisiert - aber auch eine Gegenmobilisierung ausgelöst, die Trump instinktsicher nutzt. Klüger wäre es gewesen, hätten die Demokraten das Fundament des Erfolgs der Republikaner besser identifiziert - und zerstört.

Dieses Fundament ist eigentlich bestens erforscht. Ein Blick auf die Trennungslinie heute wie vor vier Jahren erklärt den anhaltenden Erfolg Trumps und den relativen Misserfolg Bidens. Die tektonischen Bruchlinien der USA heißen Bildung und Privilegien, vulgo Geld. Die soziale Ungleichheit im Land hat die große Gruppe der weißen, wenig begüterten Wähler der Mittel- und Unterschicht ohne College-Abschluss geschaffen: Trumps loyale Gefolgsleute. Einst klassische Wähler der Arbeiterpartei Demokraten, sind diese zum Rechtspopulisten Trump übergelaufen. Ähnlichkeiten mit dem Schicksal der europäischen Sozialdemokratie sind kein Zufall. Der nationalistisch-rechtspopulistische Brexit wurde ermöglicht durch die Stimmen exakt dieser Klientel. Die deutsche AfD: Ihre Wähler würden in den USA Trump wählen.

Die Demokraten verstehen die Nöte vieler Wähler nicht

Biden hatte die Chance, dieser Gruppe ein Angebot zu machen. Anders als im weniger beweglichen Wählermilieu in Europa ist die Wechselbereitschaft in den USA stärker ausgeprägt. Allein: Die Demokraten haben weder die Sprache dieser Wähler gesprochen noch ihre Nöte verstanden. Es geht um Aufstieg, Sicherheit im Job und im Einkommen, Bildung für die Kinder. Und die Hoffnung, dass dieser amerikanische Traum auch für sie noch gilt, so wie es damals der erste schwarze Präsident versprochen hat.

Joe Biden hat noch immer die Chance, den schlechtesten US-Präsidenten aller Zeiten zur Geschichte zu degradieren. Es wäre ihm leichter gelungen, hätte er dessen Wählern eine bessere Zukunft in Aussicht gestellt.

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