Ungarn:Vorsicht, Ansteckungsgefahr!

Ungarn: Meister der Angstmache: Viktor Orbán erzählt den Ungarn gern, dass das Land im Chaos versinken würde, gewänne die Opposition.

Meister der Angstmache: Viktor Orbán erzählt den Ungarn gern, dass das Land im Chaos versinken würde, gewänne die Opposition.

(Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Natürlich muss die EU den Wahlsieg Viktor Orbáns respektieren. Doch es gilt auch: Wenn die Kommission jetzt nicht schnell handelt, wird sich das autokratische Modell des ungarischen Regierungschefs ausbreiten in Europa.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Man kann die Fassungslosigkeit kaum beschreiben, die sich am Wahlabend bei Millionen Menschen in Ungarn breitgemacht hat: Nur notorische Pessimisten hatten mit einem so deutlichen Wahlsieg von Langzeit-Ministerpräsident Viktor Orbán gerechnet. Die Gesellschaft ist seit Jahren in zwei Lager zerfallen, die Gräben sind mit jeder Amtszeit Orbáns tiefer geworden. Nun wird zur Machtlosigkeit bei seinen Gegnern noch tiefe Resignation hinzukommen. "Orbán auf Steroiden" - so lautete ein bitterer Kommentar; jetzt werde er endgültig abheben und keine Rücksichten mehr nehmen auf alle, die sich in seinen Weg stellten.

Orbán ist in Ungarn höchst umstritten. Selbst Fidesz-Anhängern geht seine Kleptokratie, seine Propaganda, sein antieuropäischer Kurs zu weit. Aber er vermochte es, Angst zu schüren: Mit der Opposition zögen Instabilität und Chaos ein, das Land werde in den Krieg gezerrt, alle schönen Geldgeschenke der Regierung würden zurückgenommen, und Ungarn werde wieder klein und einflusslos sein.

Das nationale Pathos und die Sorge vor der Ungewissheit verfingen. Und die Opposition selbst war, nur ein knappes Jahr nach ihrem Beschluss, gemeinsam anzutreten, nicht stark, nicht überzeugend, nicht professionell genug. Immer wieder hörte man hinter den Kulissen, dass Spitzenkandidat Péter Márki-Zay schwer einschätzbar sei, zu erratisch agiere, sich nicht ausreichend abspreche.

Die geeinte Opposition? Sie wird sich wieder auflösen

Nun wird sich das so mühsam vereinigte Oppositionslager, das während des Wahlkampfs trotz aller inhaltlichen Differenzen überraschend viel Disziplin zeigte, wieder auflösen. Und Orbán wird der unbestrittene Autokrator eines Landes, das er erneut erobert und doch längst überwältigt hatte.

Ein knappes Ergebnis war vorhergesagt worden, selbst regierungsnahe Experten hatte angedeutet, dass die Zweidrittelmehrheit von Fidesz im Parlament fallen könnte. Aber nun steht der rechtskonservative Politiker, der seine fünfte Amtszeit antritt, als Triumphator da. Und das wird er vor allem die EU wissen und spüren lassen, er wird sie dafür zahlen lassen. Dass der Rechtsstaatsmechanismus von der EU-Kommission bis heute nicht zum Einsatz gebracht wurde, sondern die Wahl in Ungarn abgewartet wurde, war ein massiver Fehler. Die Opposition hätte damit beweisen können, dass Orbáns Kurs das Land in die Isolation führt.

Orbán hat sein System und seine Ideologie über Jahre perfektioniert

Andererseits: Orbán hätte seinen Opfermythos, nach dem sich die linke, kosmopolitische, von George Soros instrumentalisierte Gesellschaft gegen ihn verschworen hat, nur noch mehr zur Mobilisierung jener Ungarn genutzt, die schon jetzt das Gefühl haben, nur Fidesz verschaffe ihnen Achtung in der Welt. Dass das Gegenteil der Fall ist, erreicht einen Großteil der Bevölkerung nicht, dazu ist die Medienlandschaft zu einseitig. Der Spitzenkandidat, nur ein Beispiel, bekam im staatlichen Fernsehen genau einmal fünf Minuten, um sich zu präsentieren, während Orbán in Dauerschleife lief. EU-Politiker, aber auch Journalisten, die sich kritisch mit der Politik des illiberalen Demokraten auseinandersetzen, werden in Ungarn als Feinde der Nation angeprangert.

Zu behaupten, Orbán habe diese Wahl nur mit Manipulation gewonnen, ist zu kurz gedacht. Der Ministerpräsident hat über Jahre sein System und eine entsprechende Ideologie perfektioniert: Ungarn ist in Wahrheit eine unterschätzte Nation, der ein ganz anderer Platz auf der Weltbühne gebührt. Der "Westen" verkommt, während die nationale, konservative Revolution das Land zu neuer Größe führt. Dafür hat Orbán eine nach Russland und China ausgerichtete Politik betrieben, während er die westlichen Partner beschimpfte und mit dem Rechtspopulisten Donald Trump paktierte. Den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij nannte er in der Wahlnacht, völlig ungeniert, einen "Verlierer".

Es geht um die Funktionsfähigkeit der EU

Orbán wird sich nun in seiner Haltung bestärkt sehen, dass eine Nähe zu Russland seinem Land nützt. Bisher trägt er Sanktionen gegen Moskau mit, aber eine gemeinsame Russland-Politik der EU ist mit diesem Wahlsieg sehr viel unwahrscheinlicher geworden.

Ungarn hat unter unfairen Bedingungen und in einem demokratisch beschädigten System Viktor Orbán wiedergewählt. Das gilt es zu respektieren. Aber wenn die EU nicht nur sich und ihre Werte, sondern auch ihre Funktionsfähigkeit retten will, dann geht sie jetzt mit allen Mitteln gegen den Abbau des Rechtsstaats und gegen die mit EU-Geld finanzierte Korruption vor. Andernfalls ist Orbáns Sieg das Vorbild für ein autokratisches Modell, das mitten im Westen Fuß fassen - und sich ausbreiten wird.

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