Gergely Karácsony:Der Mann, der die Ungarn wieder zusammenführen will

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Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony möchte bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr gegen Viktor Orbán antreten.

(Foto: BERNADETT SZABO/REUTERS)

Der Oberbürgermeister von Budapest gilt als vorsichtig. Künftig wird er häufiger in die Offensive gehen müssen - er fordert jetzt auch offiziell den ungarischen Langzeitregenten Viktor Orbán heraus.

Von Cathrin Kahlweit

Neulich hat sich der Budapester Oberbürgermeister entschuldigt. Er hatte in einem Gespräch mit dem britischen Economist gesagt, er selbst sei groß und schlank, Viktor Orbán hingegen klein und dick. Das sei unangemessen gewesen, erklärte Gergely Karácsony, der ansonsten nicht die Angewohnheit hat, rhetorisch über die Stränge zu schlagen. Der linksliberale Politiker, der 2019 gegen einen Kandidaten der Regierungspartei Fidesz siegte und seither die Hauptstadt regiert, gilt als vorsichtiger Mann.

Künftig wird Karácsony allerdings sehr viel häufiger in die Offensive gehen müssen und dabei sicher auch ab und zu Frechheiten formulieren - der Wahlkampf gegen den lange Zeit scheinbar unbesiegbaren Ministerpräsidenten Ungarns, Viktor Orbán, dürfte, wie das Wort schon sagt, ein Kampf werden, kein Austausch von Höflichkeiten.

Die Umfragen attestieren Karácsony durchaus Chancen, Orbán im kommenden Jahr bei der Parlamentswahl schlagen zu können. Dennoch hatte er sich lange nicht festgelegt, ob er antreten will. Am Samstag war es dann so weit: Der 45-Jährige verkündete die Kandidatur per Video, aufgenommen in seinem Heimatdorf vor den Fahnen Ungarns und der EU.

Seine Heimat sei in großen Schwierigkeiten, sagte er, das Land sei extrem gespalten. Er wolle die Ungarn wieder zusammenführen und 99 Prozent des Landes vertreten, nicht nur das eine Prozent Privilegierter, deren Reichtum die Regierung stetig mehre. Passend dazu präsentierte er 99 Gründungsmitglieder, vor allem prominente Intellektuelle und Politiker, die den parteiübergreifenden Charakter seiner Bewegung repräsentieren sollen.

Nur eine vereinte Opposition kann Orbán gefährlich werden

Ob der studierten Soziologe und Meinungsforscher zum Spitzenkandidaten gekürt wird, hängt erst einmal weniger von Orbán als von der ungarischen Opposition in ihrer ganzen Breite ab. Karácsony war bereits vor zwei Jahren als gemeinsamer Kandidat mehrerer Parteien in Budapest aufgestellt worden. Nur weil sich die Opposition gegen Fidesz zusammenschloss, hatte der ehemalige Politikdozent an der Corvinus-Universität, der für die grüne, proeuropäische Partei "Dialog für Ungarn" (PM) antrat und Bezirksbürgermeister in einem Budapester Stadtteil war, überhaupt eine Chance.

Dieses Erfolgsmodell soll nun für die Wahl 2022 perfektioniert werden. Sechs Parteien, darunter die Sozialdemokraten, die Grünen, aber auch die von Rechtsaußen in die rechte Mitte gerückte Jobbik, wollen im Sommer in allen 106 Wahlkreisen gemeinsame Kandidaten aufstellen. Im Herbst wird dann in bis zu drei landesweiten Vorwahlen der Herausforderer von Orbán gekürt. Sechs Oppositionsparteien schicken Kandidaten ins Rennen. Karácsony werde beste Chancen auf den Sieg eingeräumt; in Umfragen indes liegt die vereinte Opposition derzeit knapp hinter Fidesz.

Von den Regierungsmedien wurde Gergely Karácsony umgehend als Marionette des extrem unpopulären, früheren sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány hingestellt, der im Hintergrund die Strippen ziehe. Außerdem habe Karácsony die Antrittsrede von US-Präsident Joe Biden übersetzen lassen und kopiert - ein wenig subtiler Hinweis darauf, dass der prominente Politiker kein Englisch spricht. Im politischen Alltag hat Karácsony andere Probleme. Er kämpft damit, dass Orbáns Regierung den Kommunen einen Großteil ihrer Ressourcen gekappt hat, was Investitionen fast unmöglich macht. Der Oberbürgermeister forderte daher die EU auf, ihre Regionalförderung direkt an Städte und Gemeinden auszuzahlen. Nur so könne verhindert werden, dass Orbán seine Oligarchenfreunde weiter versorge.

"In der Hälfte aller großen Städte in Ungarn regieren Bürgermeister der Opposition", sagte Karácsony der SZ im vergangenen Herbst. "Wir sind ein starker Hebel, mit dem wir der Regierung etwas entgegensetzen könnten." Das will er nun auf nationaler Ebene versuchen.

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