Ukraine:Bescheidene Streitmacht

Zwar spricht Verteidigungsminister Oleksij Resnikow von einer Million Mann unter Waffen. Die Realität sieht anders aus.

Kommentar von Florian Hassel

Wenn stimmen würde, was Verteidigungsminister Oleksij Resnikow jetzt zu Protokoll gab, wäre es für die Ukrainer kein Problem, die von Russland besetzten Küstengebiete am Asowschen und Schwarzen Meer zurückzuerobern - eine Besetzung, mit der Moskau wegen der damit verbundenen Blockade der ukrainischen Häfen dem Land die wirtschaftliche Luft abschnürt. Die Ukraine habe, sagte Resnikow der Londoner Times, nun eine Streitmacht von einer Million Mann zur Verfügung: 700 000 Soldaten und 300 000 Nationalgardisten, Polizisten und Grenztruppen.

Die Wirklichkeit ist ungleich bescheidener, selbst von einer einsatzfähigen Streitmacht von 700 000 Mann träumen die Ukrainer nur. Berichte von der Front belegen, dass die Ukrainer Schwierigkeiten haben, ihre noch im Sommer 2021 auf lediglich gut 130 000 Mann geschätzten einsatzbereiten Armeeeinheiten einsatzbereit zu halten und die auch auf ihrer Seite Zehntausende Mann ausmachenden Verluste an Toten und Verwundeten zu ersetzen.

Gewiss zerstört die Ukraine zunehmend effektiv mit von Washington gelieferten modernen Raketenwerfern russische Munitionslager und Kommandopunkte. Doch auch die Ukrainer bleiben verletzlich: Experten des Londoner Royal United Service Institute zufolge macht die weitgehende Überlegenheit der Russen bei Artillerie, Marschflugkörpern und Raketen eine Massierung ukrainischer Truppen so gut wie unmöglich.

So ist unwahrscheinlich, dass es der Ukraine gelingt, schnell die strategisch wichtige Stadt Cherson zurückzuerobern. Immer wieder haben die Ukrainer eine große Offensive zur "De-Okkupierung" angekündigt; über lokale Erfolge kamen sie bisher nicht hinaus. Cherson selbst aber bleibt unter russischer Kontrolle - und damit auch der Zugang zur von Moskau besetzten Krim. Zudem bleibt damit auch die Bedrohung des Schwarzmeerhafens Odessa bestehen - und dessen faktische Blockade.

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