Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Krieg:Weiter reden

Das Treffen in Lwiw wird kaum zu einem Frieden führen. Moskau glaubt, noch etwas gewinnen zu können. Kiew hat viel zu verlieren.

Kommentar von Daniel Brössler

Die Tatsache, dass aus ukrainischen Häfen seit einigen Wochen wieder Schiffe mit Getreide auslaufen können, hat Hoffnungen geweckt. Pessimistischen Einschätzungen zum Trotz hält die von UN-Generalsekretär António Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vermittelte Einigung bisher. Verständlich sind daher die großen Erwartungen an das Treffen der beiden mit Präsident Wolodimir Selenskij im westukrainischen Lwiw. Erdoğan selbst hat diese Erwartungen noch befeuert, indem er die Suche nach diplomatischen Wegen aus dem Krieg ankündigte. Diese Suche ist wichtig. Wer aber nun die Hoffnung auf einen raschen Frieden hegt, den trügt sie.

Selenskij kann für einen Scheinfrieden unmöglich Territorium dem russischen Terror überlassen

Ein halbes Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind weder für den Aggressor noch für das Opfer die Voraussetzungen für ein Ende der Kampfhandlungen gegeben. Selbst wenn Russlands Präsident Wladimir Putin von seinem ursprünglichen Ziel der vollständigen Unterwerfung der Ukraine erst einmal Abstand genommen haben sollte, kann er immer noch mit weiteren Geländegewinnen rechnen. Für Selenskij wiederum ist es völlig unmöglich, große Teile ukrainischen Territoriums für einen Scheinfrieden dem russischen Terror zu überlassen.

Treffen wie das in Lwiw haben dennoch ihren Sinn. Zum einen, um auch während des Krieges notwendige Kommunikationskanäle offen zu halten. Und der Getreidedeal hat gezeigt, dass es auch inmitten des Horrors punktuelle Kompromisse geben kann. Ein solcher muss dringend gesucht werden, um die Gefahr einer Nuklearkatastrophe in Saporischschja zu verringern. Diese Kommunikationskanäle werden an Bedeutung gewinnen, sobald sich die Voraussetzungen für den Frieden verbessert haben. Zu erreichen ist das aber nicht durch weniger Waffenlieferungen an die Ukraine. Im Gegenteil. Je schwächer Putin die Ukraine wähnt, desto weniger Grund hat er, seine Kriegsmaschinerie zu stoppen.

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