EU und Ukraine:Falsche Erwartungen

Verdient das Land die EU-Mitgliedschaft? Jedenfalls ist es ein Fehler, diese jetzt in Aussicht zu stellen.

Von Josef Kelnberger

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat im moralischen Sinn recht, wenn er eine unverzügliche Aufnahme seines Landes in die Europäische Union fordert. Die Ukrainer hätten das "verdient", sagte Selenskij nach einem Telefonat mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, und dem ist schwer zu widersprechen. Die traurige Wahrheit aber ist: Die Mitgliedschaft in der EU kann nicht vergeben werden als Belohnung für den tapferen Kampf des ukrainischen Volkes gegen die russischen Invasoren. Das sollte auch Ursula von der Leyen klipp und klar so sagen. Alles andere weckt falsche Erwartungen.

In der EU sind alle tief beeindruckt vom Mut Selenskijs, der unter Todesgefahr den Widerstand gegen Wladimir Putins Armee anführt und westliche Werte verteidigt. Auch damit ist wohl zu erklären, dass die Kommissionspräsidentin nach dem Gespräch mit Selenskij sagte, die Ukraine gehöre "im Laufe der Zeit" zur EU, "wir wollen sie drinhaben". Das ist ihre Standardantwort für alle osteuropäischen Staaten, die Aufnahme in der EU begehren. Aber im Zusammenhang mit den Sanktionen der EU gegen Russland und den Waffenlieferungen an die Ukraine konnte man ihre Sätze als zusätzliche Kampfansage an Putin interpretieren, der ohnehin schon mit seinen Atomraketen droht.

Wer Aufnahme in der EU finden will, muss ein jahrelanges Prüfverfahren in 35 Kapiteln durchlaufen. Das Land muss sich als stabile, rechtsstaatliche Demokratie erweisen. Es muss über eine wettbewerbsfähige Marktwirtschaft verfügen. Und es muss fähig sein, das gemeinschaftliche Recht umzusetzen. Davon war die Ukraine, ein "strategischer Partner" der EU, nach jüngsten Berichten weit entfernt. Noch vor einem halben Jahr beklagten EU-Prüfer massive Korruption.

Die Ukraine hat jegliche Solidarität verdient. Aber mit einer EU-Mitgliedschaft, die alle Regeln der Europäischen Union bricht, ist niemandem gedient.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: