Tech-Konzerne:So geht Ausbeutung heute

International Travel During the Covid-19 Pandemic

Prekär beschäftigt: ein Uber-Fahrer in Paris.

(Foto: Siegfried Modola/Getty Images)

Apps wie vom Fahrdienst Uber sind so praktisch. Und so unheimlich günstig - für den Verbraucher. Den wahren Preis bezahlen Millionen "selbständige" Fahrer. Höchste Zeit, dass die EU das Problem angeht.

Kommentar von Simon Groß

Es gibt ein neues Prekariat. Dessen Angehörige stehen nicht mehr mit verrußten Händen in Backsteinfabriken in Manchester. Nein, sie huschen in den großen Städten dieser Welt an einem vorbei. Auf dem Fahrrad oder im Auto. Sie putzen, pflegen, liefern Lebensmittel oder fahren Taxi. Für alle möglichen Dienstleistungen gibt es mittlerweile eine entsprechende App. Programmiert werden sie von Tech-Firmen mit cool klingenden Namen. Uber, Helpling, Deliveroo. Ein Riesengeschäft. Ihr Umsatz lag zuletzt bei 20 Milliarden Euro, allein in Europa.

Doch die Menschen, die für sie arbeiten, können sich davon nichts kaufen. Häufig arbeiten sie als sogenannte Soloselbständige, obwohl sie vom Dasein eines echten Selbständigen so weit entfernt sind wie Manchester von den Alpen. Es ist deshalb höchste Zeit, dass die EU nun mit einem Gesetz die Konzerne dazu bringen will, ihre Arbeiter auch als solche anzustellen.

Die Tech-Firmen verdrängen analoge Firmen - und damit auch bessere Jobs

Denn die Internetfirmen dringen in immer mehr Lebensbereiche vor. Sie verdrängen analoge Unternehmen und damit oft auch bessere Jobs. Was diese Firmen so erfolgreich macht, ist ihre Eigenschaft, als Plattform aufzutreten. Statt selbst ein Produkt oder eine Dienstleistung anzubieten, liefern sie die Infrastruktur, auf der sich Anbieter und Kunden treffen können, und für deren Nutzung sie sich bezahlen lassen. Für Kunden ist das oft unwiderstehlich: Die Konzerne machen vieles einfacher und billiger. Aber für eine immer größere Zahl von Menschen ist es ein Problem, denn sie hängen von dem Einkommen aus diesen Jobs ab. Die EU schätzt, dass bis zu 28 Millionen Menschen für derlei Plattformen arbeiten, die meisten davon als Selbständige.

Für sie bedeuten die Geschäftsmodelle enormen Leistungsdruck, weil die Arbeiter in direkter Konkurrenz zueinander um die Aufträge buhlen. Zudem haben sie kaum soziale Absicherung, dafür aber ein hohes Maß an Unsicherheit bei gleichzeitig allumfassender Kontrolle. Denn den Algorithmen aus dem Silicon Valley entgeht nichts. Ebenso wenig den Bewertungssystemen, die an die dystopische Netflix-Serie "Black Mirror" erinnern. Ein schlechtes Urteil kann für einen Uber-Fahrer sehr gefährlich werden, also immer schön freundlich sein und lächeln, egal wie die Kunden sich aufführen. Bezahlt wird ohnehin nach Leistung, nicht nach Stunden. Gewerkschaften und Betriebsräte sind den Arbeitern oft ebenso fremd wie den Unternehmen, deren Zentralen nicht selten im weit entfernten, sonnigen Kalifornien sitzen.

Gorillas schmiss seine streikenden Fahrer einfach raus

Wie groß ihre Macht ist, haben die Plattformen dort unlängst bewiesen. Eigentlich sollte - ganz ähnlich wie nun in der EU - ein Gesetz im US-Bundesstaat Kalifornien die Konzerne verpflichten, ihre Arbeiter anzustellen. Doch daraus wurde erst einmal nichts. Nachdem die Plattformen damit gedroht hatten, sich von dort zurückzuziehen, kippten die Kalifornier die Regelung per Referendum. Dass indes mit einem Angestelltenverhältnis die Probleme für das Online-Prekariat nicht unbedingt verschwinden, das hat der Lieferdienst Gorillas in den vergangenen Monaten in Deutschland veranschaulicht. Fahrer, die wegen unzumutbarer Arbeitsbedingungen streikten, schmiss das Unternehmen kurzerhand raus. Immerhin hebt die Firma nun den Stundenlohn seiner Fahrer auf zwölf Euro an und nimmt damit den geplanten höheren Mindestlohn vorweg. Doch die Gründung eines Betriebsrats versuchte Gorillas lange erbittert zu verhindern.

Aber so funktioniert die Masche der Tech-Firmen. Nach außen bieten sie hippe Lifestyle-Produkte - und im Inneren werden Menschen nach Kräften ausgebeutet.

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