Soziale Medien:Trumps Rauswurf darf nur der Anfang sein

Twitter hat endlich das Konto des US-Präsidenten gesperrt. Dies zeigt, dass nur wenige Männer darüber entscheiden, wer im Netz was sagen darf. Statt Alleinherrscher braucht das Internet in Zukunft demokratische Kontrolle.

Von Simon Hurtz

Normalerweise ist es keine Nachricht, wenn eine private Plattform einen Nutzer rauswirft, der gegen die Regeln verstößt. Doch der Mann heißt Donald Trump und ist Präsident der Vereinigten Staaten. Twitter hat sein Konto entfernt, um das "Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt" zu verhindern. Damit verliert Trump nicht nur sein Lieblingsspielzeug, sondern seine wohl wichtigste Bühne.

Diese Entscheidung ist gleichzeitig richtig, überfällig und problematisch. Um die ersten beiden Punkte zu verstehen, reicht ein Blick auf Trumps Account. Twitter hatte das Konto gerade erst für zwölf Stunden blockiert, nachdem ein von Trump angestifteter Mob ins Kapitol gestürmt war. Kaum war die Sperre abgelaufen, kündigte er an, der Amtseinführung seines Rivalen Joe Biden fernzubleiben. Damit ermutigte er seine Anhängerinnen und Anhänger implizit zu weiteren Gewalttaten, die bereits auf Twitter und anderen Plattformen geplant werden.

Man muss Twitter nicht dafür loben, dass es nun endlich seine eigenen Regeln durchsetzt. Im Gegenteil: Trump hat jahrelang beleidigt und bedroht, gelogen und gehetzt. Die Tweets des Präsidenten hatten tödliche Folgen: Fünf Tote beim Sturm auf das Herz der US-Demokratie sind nur die jüngste von vielen Tragödien. Als in Charlottesville ein Neonazi eine Demonstrantin überfuhr, verurteilte Trump nicht die Extremisten, sondern lobte "feine Menschen auf beiden Seiten". Im Sommer starben 19 Menschen bei Protesten gegen Rassismus, zuvor hatte Trump auf Twitter die Stimmung angeheizt. Die US-Verfassung schützt die Meinungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen, aber sie verpflichtet Unternehmen nicht, dem Präsidenten ein Mikrofon anzubieten. Trump setzte sich so oft, so dreist und mit derart dramatischen Konsequenzen über Twitters Richtlinien hinweg, dass er schon vor Jahren von der Plattform hätte fliegen müssen.

Kurz vor Twitter-Chef Jack Dorsey rang sich auch Mark Zuckerberg dazu durch, Trumps Facebook-Account mindestens bis zur Amtsübergabe zu sperren. Im Ergebnis sind beide Entscheidungen richtig, doch der Prozess ist falsch. Es wird offensichtlich, dass nur sehr wenige Menschen die wichtigste Kommunikationsinfrastruktur der Welt kontrollieren. Derzeit bestimmt eine Handvoll weißer Männer allein, was im Netz von wem gesagt werden darf. Die Plattformen sind mächtiger als viele Regierungen. Konzerne kontrollieren den Zugang zu Informationen und ziehen die Grenzen der Redefreiheit.

Deshalb darf zum Ende von Trumps Amtszeit nicht bloß dessen Twitter-Account verschwinden, es muss etwas Neues entstehen: Das Netz braucht demokratische Kontrolle, keine Alleinherrscher. Die Politik muss das Silicon Valley zähmen, in dessen eigenem Interesse. Egal, wie Zuckerberg und Dorsey entscheiden: Die Hälfte der US-Bevölkerung ist immer wütend und schreit entweder "Zensur" oder "Feigling". Für weitreichende Entscheidungen braucht es unabhängige Institutionen: Wer wird gesperrt? Welche Inhalte bleiben online?

In der Europäischen Union soll der Digital Service Act die digitale Welt neu ordnen. Facebook will sich mit dem sogenannten Oversight Board eine Art obersten Gerichtshof schaffen. Das Gremium soll Grundsatzurteile fällen, wie Facebooks Löschregeln anzuwenden sind. Beide Ansätze sind vielversprechend. Die Politik wacht auf, Unternehmen entdecken ihre Verantwortung. Das unregulierte Wild Wild Web hat den Trumpismus mit hervorgebracht, der die USA noch über Jahre prägen wird. Wenn Joe Biden das Land einen will, muss er auch das Netz ordnen.

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