Süddeutsche Zeitung

Tunesien:Fischer, Schmuggler, Sozialarbeiter

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In diesem Sommer fliehen so viele Menschen aus Nordafrika wie zuletzt nach dem Arabischen Frühling. Fischer wie Bilel Oueslati organisieren Plätze auf Booten. Er sieht sich dabei als Sozialarbeiter. Und will eigentlich selber weg.

Von Mirco Keilberth

Die Szene in dem tunesischen Fischerort Ezzahra ähnelt einem Postkartenmotiv. Ein bunt angestrichenes Holzboot auf schneeweißem Sandstrand, Katzen sonnen sich neben den Fangnetzen und Reusen auf einem der Holzruder. Gemächlich legt Bilel Oueslati mit drei anderen Fischern Rollen unter den Rumpf seines acht Meter langen Holzbootes. Doch bevor sie es in das türkisfarbene Wasser schieben, verstauen sie ihre Ausrüstung in einem Schuppen. Denn am Abend wird Bilel mit Passagieren in Richtung Italien aufbrechen. "Ein paar Netze nehmen wir mit, falls wir auf eine Patrouille der Küstenwache stoßen", sagt der 36-jährige Tunesier mit einem Lachen. Von der Halbinsel Cap Bon sind es nur knapp 60 Kilometer bis zur italienischen Insel Pantelleria, bei ruhiger See erreicht ein Boot mit Außenbordmotor Lampedusa innerhalb eines Tages. Bilels zehn Passagiere werden an einer verabredeten Position in ein größeres Boot umsteigen, mit Glück sind sie in wenigen Tagen in Paris.

Ein paar Kilometer von Ezzahra entfernt reihen sich am kilometerlangen Sandstrand "Mansoura" die Sonnenschirme und Zelte von einheimischen Familien eng aneinander, weiter südlich im Touristenort Hammamet liegen französische, deutsche und algerische Touristen an den Hotelstränden in der Sonne.

Bilel Oueslati lässt der derzeitige Tourismus-Boom kalt. "Ende August ist doch alles wieder vorbei", sagt er. "Dann verlieren viele Hotelangestellte ihre Saisonjobs und uns traditionellen Fischern schnappen die italienischen Industrieschiffe wieder unsere Fänge weg. Ich kenne Familien, die nach den letzten Preissteigerungen schon jetzt zu wenig zu essen haben."

Eigentlich wollte Bilel Oueslati Tourismusunternehmer werden. Bei der Provinzverwaltung in Kelibia beantragte er mehrmals die Erlaubnis zum Vermieten von Sonnenliegen und -schirmen. Doch wegen der Verurteilung zu einer einjährigen Gefängnisstrafe wegen Cannabis-Konsums lehnten die Beamten ab, obwohl er damals 17 Jahre alt war. "Wer in Tunesien einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, kann einpacken. Ich hätte unter dem Tisch Geld zahlen können, aber wäre dann in der Hand der Beamten gewesen."

Die Themen vor der Abfahrt: Korruption, Polizeiwillkür, schlecht bezahlte Jobs

Vor der Abfahrt mehrerer Boote am Abend treffen sich Fischer aus Ezzahra und Kelibia, um mit ihren Passagieren über Sicherheit und den Ablauf der Überfahrt zu sprechen. Doch schnell geht es um Korruption, Polizeiwillkür und schlecht bezahlte Jobs. "Ohne das Schmiergeld an Beamte kommt man selbst als Fischer nicht weit", klagt Nadhem Hameda, ein Freund von Bilel. "Aber uns bezeichnen sie als Kriminelle. Dabei versuchen wir nur jungen Leute dabei zu helfen, mit Jobs in Europa ihren Familien zu helfen", sagt der Mann mit der Kapitänsmütze.

Bilel Oueslati versteht sich im Gegensatz zu den vielen gewissenlosen Geschäftemachern entlang der tunesischen und libyschen Küste eher als Sozialarbeiter. "Viele, denen ich eine Chance auf eine bessere Zukunft in Europa geboten habe, hätten sich hier radikalisiert oder wären kriminell geworden", glaubt er. Bei unserem Treffen rät er einem 17-Jährigen, erst den Schulabschluss zu machen, bevor er in ein Boot steigt.

"Es gibt nur noch wenige Schmuggler wie Bilel, die zumindest eine gewisse Kontrollfunktion haben, mit den Eltern sprechen und dafür sorgen, dass gewisse Standards eingehalten werden", sagt der Kioskbesitzer Ahmed, der als Einziger aus seinem Freundeskreis noch auf Cap Bon lebt.

Doch auch Bilel Oueslati will gehen. Er war schon mehrmals in Italien und Frankreich. Doch er kam jedes Mal zurück, um sich um seinen 70-jährigen Vater zu kümmern, mit dem er in Ezzahra auf einer Farm lebt.

"Solange die Chancenlosen als kriminell gelten, aber nicht die korrupte Elite und die Funktionäre, werden die Tunesier und genauso Migranten aus anderen afrikanischen Ländern in die Boote steigen", sagt Oueslati.

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