Konzerne:Der Stammbaum der Verantwortungslosigkeit

Dammbruch Brasilien Schlammlawine

Die Gegend nahe der Stadt Brumadinho, zwei Tage nach dem Zusammenbruch des Staudamms im Januar 2019, den der TÜV Süd für sicher erklärt hatte.

(Foto: AFP)

Der Fall TÜV Süd zeigt: Wenn Leid verursacht wurde und Ungemach droht, sind deutsche Global Player gerne wieder ganz schnell zu Hause.

Kommentar von Nicolas Richter

Wie alle Konzerne, die etwas auf sich halten, nennt sich auch der TÜV Süd einen "Global Player". Das liegt daran, dass er viel Geld im Ausland verdient. Das Globalplayertum lebt stark davon, den eigenen strategischen Weitblick zu feiern: Chancen werden genutzt, Impulse gesetzt, key markets erschlossen. Allerdings wohnt dem Global Player auch die Neigung inne, auf sein beschränktes Blickfeld hinzuweisen, wenn es draußen auf dem Globus mal ungemütlich wird.

Der TÜV Süd hat nämlich 2018 einen Staudamm in Brasilien als sicher zertifiziert, der wenig später kollabierte, was 270 Menschen das Leben kostete. Nun verlangen Angehörige eine Entschädigung, während der TÜV Süd jede Verantwortung bestreitet. Dabei zeigt sich ein ärgerliches Verhaltensmuster deutscher Konzerne: Wenn irgendwo mit Bargeld bestochen wird, Fabrikhallen abbrennen oder Staudämme bersten, dann sind die Global Player ganz schnell wieder zu Hause - weit weg von allem Ungemach.

Wir waren doch gar nicht zuständig, so lautet oft das Argument

Im Fall des TÜV Süd hielten die Mitarbeiter in Brasilien den Staudamm offenbar für marode, fürchteten aber, mit diesem Urteil den Betreiber zu verprellen, der zugleich ihr Kunde war. Schließlich zertifizierten sie den Damm als sicher, was laut Zeugen ein hochrangiger Ingenieur aus München gebilligt haben soll. Der TÜV Süd aber verteidigt sich damit, der Mann aus München habe schon deswegen nichts gebilligt, weil er von Dämmen nichts verstehe, wie auch sonst niemand in der Zentrale. Sollte überhaupt ein Fehler passiert sein, dann allenfalls bei der Unterfirma in Südamerika, für die der TÜV München aber nicht hafte. Wie so oft wird eine klare Zuständigkeit zerrieben zwischen Mutter-, Tochter- und Enkelfirmen, in einem Stammbaum der Verantwortungslosigkeit.

Diese Argumentation ist weitverbreitet. So hatte die Führung der Deutschen Bank nichts damit zu tun, dass ihre Ortskräfte in China Parteikader mit Geschenken und Jobs versorgten. Siemens hatte keinen Einfluss darauf, dass chinesische Händler für Siemens-Medizintechnik Schmiergeld verteilten, was sogar plausibel ist, weil Siemens seine Händler nur alle paar Jahre kontrollierte. Rechtlich folgenlos blieb für die deutsche Billigkette Kik auch der Großbrand in der Fabrikhalle eines Lieferanten in Pakistan, bei dem 258 Menschen starben.

Deutsche Firmen müssen endlich mehr Verantwortung übernehmen

Der Global Player stellt Erträge aus dem Auslandsgeschäft also gern als Ergebnis seiner eigenen Entschlossenheit dar; an Straftaten und Katastrophen aber sind immer andere schuld. Im Fall des TÜV Süd gibt es zwei mögliche Erklärungen, die beide verstörend sind: Entweder hat der TÜV in München seine brasilianische Filiale aus Profitdenken ins Risiko gedrängt. Oder er hatte wirklich keine Ahnung von dem, was seine Auslandsdependance tat. Es nicht so genau wissen zu wollen, kann im Ernstfall vor Konsequenzen schützen, es gehört zum Globalplayertum wie der Anglizismus und (einst) die Vielfliegerkarte.

Mit dem neuen Lieferkettengesetz zwingt der Staat deutsche Firmen nun endlich, mehr Verantwortung zu übernehmen für globale Zulieferer, für Menschenrechte und die Umwelt. Mindestens so wichtig wäre ein Sinneswandel in den Konzernen: Dort sind keine globalen Spielertypen gefragt, die überall präsent sind, aber nirgends richtig. Sondern Chefs, die ihr globales Geschäft im Griff haben und für dessen Folgen geradestehen.

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