Türkei:Was Erdoğan wirklich fürchtet

Türkei: Die türkische Lira ist immer weniger wert, die Inflationsrate liegt derzeit bei 36 Prozent - Tendenz steigend.

Die türkische Lira ist immer weniger wert, die Inflationsrate liegt derzeit bei 36 Prozent - Tendenz steigend.

(Foto: Cagla Gurdogan/Reuters)

Mit aller Macht stemmt sich der türkische Staatschef gegen die Inflation. Nur leider mit den völlig falschen Mitteln. Die Teuerungsrate kostete schon einmal eine Regierung das Amt.

Kommentar von Tomas Avenarius

Eine Regierung, die 36 Prozent Inflation in ihrer Jahresbilanz stehen hat, sollte sich fragen, was sie falsch macht. Denn sonst, und das ist für die Herrschenden weit gefährlicher, werden die Bürger diese Frage selbst sehr bald und möglicherweise sehr laut stellen. Da türkische Minister, Behörden und Institutionen ohnehin nur tun, was Präsident Recep Tayyip Erdoğan ihnen en détail vorgibt, werden die Türken sich daher an den Staatschef selbst wenden - im stillen Herzen oder vielleicht auch auf der Straße. Und zumindest dann könnte es schwierig werden für den Langzeitregenten in Ankara.

Der Wähler muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um darüber nachzusinnen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen einem vom Staatschef gegen den Willen der Notenbanker nach unten geprügelten Leitzins, dem drastischen Verfall der Landeswährung Lira und einem inzwischen fast ungebremsten Preisanstieg. Inflation wird eigentlich mit steigenden Leitzinsen bekämpft. Doch Erdoğan sieht das anders und bleibt unbelehrbar: Er sieht im Zins die Mutter der Teuerungsrate und behauptet, er senke diesen, um den Armen und den ewig zu kurz Kommenden zu helfen: "Wir haben gekämpft, um die Wirtschaft aus dem Kreislauf von hohen Zinsen und hoher Inflation zu retten." Populist, der er ist, behauptet er, dass sein "ökonomischer Befreiungskrieg" gegen angebliche internationale Zinsimperialisten die Türkei zur Unabhängigkeit von den Märkten und zu Wohlstand führen werde.

Die Türkei verliert das Vertrauen an den internationalen Märkten

Dass Erdoğans Niedrigzinspolitik und der damit ursächlich zusammenhängende Währungsverfall die Türkei das Vertrauen der internationalen Märkte und Investoren kostet, ist Erdoğan offensichtlich gleichgültig. Sein politischer Rückhalt bröckelt, das allein beunruhigt ihn. Also spielt er Vabanque, setzt auf rasches Wachstum durch billige Exporte. Er will den heimischen Konsum durch günstige Kredite anheizen. Er erhöht den Mindestlohn, die Beamtengehälter und die Renten der Staatsangestellten.

Aber all das dürfte nicht reichen, wenn der Normalverbraucher sich bei jedem Gang in den Supermarkt oder auf den Wochenmarkt fragen muss, wie er seine Familie durchbringt oder wie er den eigenen Kindern vielleicht auch eine bessere Zukunft als die eigene bieten kann. Denn die Türkei bleibt importabhängig, die in Dollar oder Euro zu bezahlenden Einfuhren kosten wegen der schwachen Lira immer mehr. Zum Jahresauftakt wurden nun auch noch die Energiepreise drastisch erhöht: Private Haushalte zahlen für Strom 50 Prozent mehr, Unternehmen mit hohem Verbrauch 100 Prozent, es sind verdeckte Steuern. Auch Gas, Benzin und Diesel, dazu Bus, Bahn, Metro und die Taxis werden teurer.

Die Inflation war zuletzt vor 20 Jahren so hoch - mit gravierenden Folgen

Zum Frust über die Rechnung nach einem Einkauf im Supermarkt kommt nun noch die Nebenkostenabrechnung. Wenn Verdienst oder Gehalt gerade zum Nötigsten reichen, muss dafür irgendwer verantwortlich sein. Die Teuerungsrate in der Türkei war zuletzt 2002 so hoch und die Experten sagen für das Frühjahr bereits 40 Prozent Inflation voraus.

Das muss Erdoğan weit mehr beunruhigen als die Kritik an der von ihm verantworteten politischen Repression: 2002 kostete die Geldentwertung, neben der wuchernden Korruption und anderen Verrottungserscheinungen, die damalige säkulare Regierung das Amt - und brachte Erdoğan an die Macht.

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