Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Trumps Amerika

Das Wahlergebnis zeigt, dass die Präsidentschaft Donald Trumps kein Zufall war. Er verkörpert zu einem guten Teil die Seele seines Landes.

Kommentar von Nicolas Richter

Um nichts weniger als die Seele Amerikas ging es bei dieser Wahl, darauf hatte sich der demokratische Kandidat Joe Biden festgelegt. Was er damit sagen wollte: Diese Abstimmung war ein Referendum über den Charakter des Amtsinhabers Donald Trump. Und aus Sicht der Demokraten konnte daraus eigentlich nur ein beherzter Rauswurf Trumps folgen.

Doch am Mittwoch lag Trump zunächst in Führung. Das heißt nicht, dass er gewonnen hat, die Ergebnisse schwankten am Nachmittag wieder Richtung Biden. Ohne jeden Zweifel aber haben weite Teile des Landes Trump abermals ihr Vertrauen geschenkt. Seine Präsidentschaft lässt sich nicht mehr bloß als Betriebsunfall sehen, als Folge einer ungünstigen Wetterlage im Jahr 2016. Die Lehre aus 2020 lautet vielmehr, dass große Teile des Volks legitimieren, was Trump seitdem im Weißen Haus geboten hat. Ein beträchtlicher Teil Amerikas billigt also nicht nur Trumps Regierungsstil, sondern verlangt noch mehr davon. Trump hat demnach den Charaktertest bestanden.

Trumps größtes Versagen ist sein Umgang mit Corona

Gerade aus europäischer Sicht mag es verrückt klingen, dass Trump ein solch gutes Zeugnis ausgestellt bekommt. Im Jahr 2016 erwarteten manche noch, der erratisch polternde Trump werde sich im Weißen Haus staatsmännische Manieren zulegen. Heute weiß man, dass er dies weder kann noch will. Stattdessen hat er ein toxisches Gesellschaftsklima befördert, von der Staatsspitze aus Geringschätzung, ja Verachtung für alle verbreitet, die anders sind und anders denken als er. Aus Trumps Twitter-Kanal sprüht ein Dauerfeuer aus Lügen, Verleumdung, Verschwörungsgeschwurbel. Trump schürt politisch motivierte Gewalt oder stiftet dazu an. Ein solches Amtsverständnis war für einen US-Präsidenten vor ihm eigentlich undenkbar. Trumps Schamlosigkeit hat sich nun auch nach dieser Wahl gezeigt, als er wie ein Autokrat den Sieg beanspruchte, bevor vielerorts überhaupt fertig ausgezählt war.

Trumps Wahlprogramm lautet, Amerika solle wieder großartig werden. Alle Indikatoren sprechen dafür, dass er gescheitert ist. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, die Staatsschulden sind explodiert. Der Status der USA als Vorbild für Demokratien in aller Welt ist dahin. Trumps größtes Versagen aber liegt in seinem Umgang mit der Corona-Krise, die er verharmlost oder geleugnet, allenfalls aber zur Selbstinszenierung benutzt hat. Mehr als 200 000 Menschen sind in den USA gestorben.

Dass Trump bei der Wahl nun dennoch so gut abschneidet, und sie vielleicht sogar gewinnt, liegt an der Haltung seiner Anhänger. Schon 2016 waren sie bereit, Trump so gut wie jeden Exzess zu vergeben; sie hielten für ihn einen endlosen Vorrat an Rechtfertigungen bereit, der auch noch für das Staatsoberhaupt Trump reichte.

Viele Republikaner glauben, von irgendwem übervorteilt zu werden

Das liegt daran, dass Trump aus Sicht seiner Fans Probleme angeht, die für sie dringlich sind. Erstens: die vermeintliche Korruption und Selbstbedienung der Politiker und Institutionen (wobei über Trumps eigene, massive Interessenkonflikte freilich hinweggesehen wird). Zweitens: das diffuse Gefühl, von ausländischen Mächten verhöhnt zu werden. Drittens: das ebenso diffuse Gefühl, die Kontrolle über das eigene Land zu verlieren - an Menschen etwa, die anders aussehen oder anders denken. Viele Republikaner leben in der Vorstellung, von irgendwem übervorteilt zu werden, und Trump hat ihnen offensichtlich das Gefühl gegeben, er habe sich um sie gekümmert und sie beschützt.

Bis zum Beginn der Corona-Krise hat er Arbeitsplätze geschaffen, die Steuern gesenkt, sich wie versprochen mit China angelegt. Seine Ressentiments gegen Einwanderer und sein Rassismus dürften Teile seiner überwiegend weißen Wählerschaft darin bestärkt haben, dass da jemand entschieden für sie kämpft. Unterm Strich hat Trump dem republikanischen Teil Amerikas (und einem Teil des demokratischen) das Gefühl gegeben, er wisse, wie es den normalen Leuten gehe, er verstehe deren Sorge und deren Zorn.

Diese Vorstellung ist so stark, dass ihm nicht einmal sein Scheitern in der Corona-Krise schadet. Alle Vorbehalte, die seine Wähler gegen ihn haben könnten, sind noch immer kleiner als die Abneigung gegen Demokraten, Linke und andere, die angeblich unpatriotisch sind. Ob Trump US-Präsident bleibt, ist noch unklar. Aber die Wahlergebnisse beweisen, dass Donald Trump zu einem guten Teil die Seele der Vereinigten Staaten von Amerika verkörpert.

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