Coronavirus:Ein ungeheuerlicher Gesetzentwurf

Coronavirus: Ein Pflegemitarbeiter kümmert sich auf einer Intensivstation um Patienten mit Covid-19.

Ein Pflegemitarbeiter kümmert sich auf einer Intensivstation um Patienten mit Covid-19.

(Foto: Joe Giddens/dpa)

Für den Fall, dass Betten auf Intensivstationen knapp werden, arbeitet die Regierung an einem Gesetz zur Triage. Doch der Entwurf, der nun vorliegt, ist nicht nur eine Brüskierung von Menschen mit Behinderung, sondern auch ein echter Tabubruch.

Kommentar von Christina Berndt

Es ist gerade relativ ruhig auf Deutschlands Intensivstationen. Aber das kann sich schnell wieder ändern, so hat es das Virus die Menschen gelehrt. Jederzeit kann es - in dieser oder einer nächsten Pandemie - zu einer Situation kommen, in der die Kapazitäten der Kliniken nicht mehr für alle Schwerstkranken reichen. Dann müssen Ärztinnen und Ärzte auswählen, wen sie behandeln. Es ist oft genug eine Entscheidung darüber, wer leben darf und wer sterben muss.

Angesichts dieser Tragweite muss gesetzlich geregelt werden, wie in einer solch entsetzlichen Triage-Situation zu verfahren ist. Nicht nur weil das Bundesverfassungsgericht Ende 2021 verfügt hat, Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen für diesen Fall zu treffen. Sondern auch, weil Ärztinnen und Ärzte mit solchen Entscheidungen nicht länger allein gelassen werden dürfen. Sie brauchen - zum Schutz der Kranken, aber auch zu ihrem eigenen Schutz - klare Vorgaben. Der Gesetzgeber darf sich nicht länger verstecken.

Insofern ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung an einem Gesetz zur Triage arbeitet, dessen Entwurf nun an die Öffentlichkeit gelangt ist. Doch was sie plant, ist ungeheuerlich: Es ist eine Brüskierung jener Menschen mit Behinderung, die in Karlsruhe geklagt haben. Und es ist ein klarer Tabubruch. Denn der Entwurf sieht nicht nur vor, dass Ärzte vor Beginn einer Behandlung - also für den Fall, dass zu viele Menschen gleichzeitig im Krankenhaus ankommen - jene Kranken auswählen sollen, die die besseren Überlebenschancen haben.

Neben dieser "Ex-ante-Triage" soll auch eine "Ex-post-Triage" möglich sein: Ärzte sollen demnach die intensivmedizinische Behandlung eines Kranken abbrechen dürfen, wenn es einen anderen Patienten gibt, dessen Überlebenschancen sie für größer halten. Dies wäre ein unerträglicher Paradigmenwechsel. Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass Ärzte und Pflegende sie so lange versorgen, wie es sinnvoll ist. Und dass sie nicht einfach zugunsten eines anderen aussortiert werden.

Die Pläne würden Menschen mit Behinderung nicht helfen - im Gegenteil

Niemand dürfe aus Gründen seiner Herkunft, seines Alters oder einer Behinderung benachteiligt werden, wird im Gesetzentwurf betont. Das ist ein ebenso edles wie notwendiges Ansinnen. Dennoch würden die vorgelegten Pläne die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung vergrößern, statt sie zu verhindern. Denn diese Menschen würden in der Triage-Situation allzu oft benachteiligt, etwa weil mit ihrer Behinderung gesundheitliche Beeinträchtigungen einhergehen. Das Ergebnis wäre nichts anderes als eine schöngeredete, medizinisch begründete Diskriminierung.

So logisch es klingen mag, dass all jene vorrangig versorgt werden, bei denen dies am ehesten zum Erfolg führt, so problematisch ist dies in der Praxis. Und zwar nicht nur aus den erwähnten ethischen Gründen, sondern auch aus medizinischen. Denn letztlich lässt sich kaum vorhersehen, welcher Schwerstkranke überleben wird. Auch wenn es Parameter gibt, die eine Prognose zuverlässiger machen, so bleibt die individuelle Entwicklung unwägbar. Wirklich gerecht wäre daher Folgendes: Wer zuerst da ist, wird zuerst behandelt; und wenn zu viele gleichzeitig da sind, wird gelost. Das mag rudimentär klingen, aber nur das garantiert am Ende allen Kranken den gleichen, fairen Zugang zur Behandlung. Wer hingegen Patienten auswählt, indem er deren Überlebenschancen vergleicht, nimmt immer eine Diskriminierung vor.

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