Großbritannien:Details später

Boris Johnsons Parteitagsauftritt wirft Fragen auf: Kann man mit Schlagworten nicht nur Wahlkämpfe gewinnen, sondern auch regieren?

Von Michael Neudecker

Die aktuellen Umfragewerte aus dem Vereinigten Königreich: 39 Prozent der Briten würden derzeit laut dem Institut Yougov die Konservativen wählen, 31 Prozent Labour. Boris Johnson liegt mit 34 Prozent auf Rang zwei der Beliebtheitsskala der Tory-Politiker, hinter Finanzminister Rishi Sunak. Großbritannien beschäftigt seit einiger Zeit die sogenannte Versorgungskrise, Tankstellen rationieren das Benzin, in Supermärkten fehlt oft Mineralwasser; die Lage ist noch nicht dramatisch, aber erstaunlich für ein wohlhabendes Land. Johnsons Zustimmungswerte sind nicht überragend, aber dass sie angesichts der Krisenstimmung nicht noch viel schlechter sind, dürfte er als Bestätigung betrachten. Auch deshalb hat er während des Parteitags die Realität ausgeblendet. Kein Wort verlor er über die Lage im Land. Krise? Welche Krise?

Wie ein Stand-up-Comedian, der die Tories versöhnen will

Johnson wurde in Manchester wie ein Alleinherrscher inszeniert, was darin gipfelte, dass eine Bühne nur für seinen Auftritt errichtet wurde, während die anderen Minister auf der ungemütlichen Konferenzsaalbühne sprechen mussten. Seine Rede glich mitunter dem Auftritt eines Stand-up-Comedians, Johnson versuchte, die Parteimitglieder zu versöhnen, die mit seiner Tory-untypischen Corona-Politik und den Steuererhöhungen unglücklich waren. Vom Unglück war in Manchester wenig zu spüren, der Tory-Parteitag 2021 war ein kritikfreier Raum. Inhaltlich aber bleibt unklar, was von Johnsons Regierung nun zu erwarten ist. Wenn Johnson erklären soll, was das Schlagwort "Level Up" bedeuten soll, spricht er vage von Neuerungen wie einem Tutor-System für die Schulen, auch von mehr Geld für Lehrer, überhaupt für alle Arbeiter. Woher das Geld kommen soll? Details später.

Mit Schlagworten gewinnt man Wahlen, aber man kann auf Dauer nicht erfolgreich regieren, ohne sich um Details zu kümmern. Es findet sich in London zwar derzeit kaum jemand, der ernsthaft an Boris Johnsons Macht und Popularität zweifelt. Aber die Historie lehrt, dass kein Thron für die Ewigkeit gebaut ist. Egal, wie unterhaltsam der sein mag, der darauf sitzt.

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