So etwas ist in der Politik nicht gerade üblich und eher selten erfolgreich. Möglich aber ist es trotzdem: bescheiden auftreten, ohne sich kleinzumachen; kontroverse Ziele verfolgen und doch gesprächsbereit bleiben; heftige Niederlagen erleiden und dann doch wieder aufstehen. Vorgelebt hat das über gut zwanzig Jahre die CDU-Politikerin Tanja Gönner. Und sie ist damit ziemlich weit gekommen. Zu Beginn der 2000er-Jahre im Bundesvorstand ihrer Partei, dann - mit gerade mal 35 Jahren - als Landesministerin in Baden-Württemberg, zuletzt zehn Jahre als Vorstandssprecherin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Im Sommer nun soll sie Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie werden. Das ist keine langweilige und erst recht keine geradlinige Karriere. Steil aber ist sie trotzdem.

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In der heute 52-jährigen Christdemokratin holt sich der BDI eine Frau ins Haus, die selbstbewusst, flexibel und ziemlich unabhängig ist. Ja, die im oberschwäbischen Sigmaringen geborene Gönner gehört seit Jahrzehnten der CDU an und kommt damit parteipolitisch zweifellos aus dem gleichen Milieu wie ihre männlichen Vorgänger. Wer aber glaubt, man könne die Frau mal eben als konservativ oder modern oder links oder rechts einstufen, läuft ins Leere. Gönner hat es geschafft, sich Themen immer wieder mit eigenem Blick anzueignen. Das hat dazu geführt, dass sie nie in einer politischen Ecke landete, aus der sie nicht mehr rausfand.
Dank ihrer Unabhängigkeit bewahrte sich Gönner politisches Gewicht
Dabei ist sie zwar verbindlich im Ton gewesen, aber hat immer wieder durchaus kontroverse Ziele verfolgt. Als Verkehrsministerin in Baden-Württemberg kämpfte sie lange für das sehr umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21, bis sie - dankbar über die Schlichtung durch den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler - auf einen Kompromiss einschwenkte. Als Umweltministerin unterstützte sie die Forderung ihres Ministerpräsidenten Stefan Mappus nach einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, bis das Unglück von Fukushima auch für sie alles veränderte.
Wer den Blick nur darauf lenkt, könnte sie für eine klassische Vertreterin einer altbackenen deutschen Industrie halten. Das aber hieße wahrscheinlich, den aktuellen Präsidenten des BDI, Siegfried Russwurm und seine neue Hauptgeschäftsführerin zu unterschätzen. Gönner diente nicht nur sehr verschiedenen Ministerpräsidenten, von Erwin Teufel über Günther Oettinger bis zu Stefan Mappus. Sie bewahrte sich in deren Kabinetten eine Unabhängigkeit, die ihr ein eigenes Gewicht verlieh. Das hing vor allem damit zusammen, dass ihre eigentliche Karriere vor diesen Ämtern begann: als Frau und Funktionärin, die sich in der Jungen Union so viel Anerkennung erwarb, dass sie zeitgleich zu Angela Merkel in der CDU aufstieg. Auf jenem Parteitag im April 2000, auf dem Merkel CDU-Vorsitzende wurde, kam Gönner ins oberste Gremium der Partei, den Bundesvorstand. Von da an wurde sie zu einem wirkungsvollen Mitglied der Merkel-Unterstützer; vor allem gesellschaftspolitisch zählt sie seither zu den Modernisierern der CDU.
Diese lange Phase endete mit der Wahlniederlage der Südwest-CDU im Frühjahr 2011. Gönner verlor alles, erst ihr Ministeramt, dann alle Chancen, in der Nachfolgefrage der CDU noch eine Rolle zu spielen. Es folgte ein bitteres Jahr, bis sich plötzlich die Chance auftat, an die Spitze der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu wechseln. Es war ihre zweite große Chance, befeuert nicht nur, aber auch von Angela Merkel, die sich ihrer erinnert hatte.
Seither interessiert sich Gönner zwangsweise für die Krisen in der Welt, vor allem für jene, die mit Hunger, Klimakatastrophe und Flüchtlingen einhergehen. Wer das zehn Jahre lang gemacht hat, dürfte für den BDI ganz andere Debatten anstoßen als die altbekannten. Auf Gönner wartet eine neue Aufgabe; auf den BDI wartet eine kleine Kulturrevolution. Reiz und Spannung inklusive.