Geschichte:Das Denkmal

Der Gerichtssaal von Stuttgart-Stammheim soll weichen. Warum es nicht schade um ihn ist und zugleich doch.

Kommentar von Joachim Käppner

Viele Gebäude verschwinden und hinterlassen ein Gefühl des Bedauerns, eine Leerstelle im Stadtbild: alte Siedlungshäuser, ersetzt durch maximalprofitorientierte Eigenheimklötze; filigrane Hochhäuser aus den Fünfzigern, verdrängt durch Bürokomplexe, die das Auge beleidigen. Vom einstigen Verhandlungssaal in Stuttgart-Stammheim wird man nichts dergleichen sagen können. Die Denkmalschutzbehörden haben zugestimmt, dass er abgerissen werden darf, bald wird er Geschichte sein.

Und welch eine Geschichte. Hier wurde in den Siebzigern gegen die RAF-Terroristen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe verhandelt, und der bunkerhafte Saal wirkte wie die Beton gewordene Krise des Rechtsstaates: defensiv, repressiv, abweisend. Fast sah er so kalt und seelenlos aus, wie sich die linksextremen Terroristen in ihrem Wahn die deutsche Demokratie als Ganzes vorstellten. Der Republik drohte, dass sie ihren freiheitlichen Kern verlor: Politiker forderten die Aussetzung von Grundrechten und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Genau diese Radikalisierung hatten die Terroristen im Sinn.

Das scheußliche Gebäude ist architektonisch nichts wert. Aber es war, unfreiwillig, ein Denkmal für die Gefahren, welchen diese Demokratie ausgesetzt war - und das nicht nur durch eine Bande von gewissenlosen Politkillern, sondern auch durch sich selbst und ihre Reaktion auf sie. Vielleicht hätte man den Saal doch erhalten sollen: zur Mahnung, dass die Freiheit nichts Selbstverständliches ist.

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