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ProfilThomas Westphal

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Dortmunder Oberbürgermeister, der seinen Frieden mit Putin sucht und damit Olaf Scholz ärgert.

Von Christian Wernicke

Er hatte geahnt, was auf ihn zukommen würde. Schon vor vier Wochen, als er den Appell einiger SPD-Genossen zum Anti-Kriegstag ("Die Waffen müssen schweigen!") unterschrieb. Seit dem Wochenende ist der Aufruf nun publik - und tatsächlich: "Es sind dieselben Reaktionen wie im Frühjahr", sagt Thomas Westphal. Weshalb der Oberbürgermeister von Dortmund mit leicht genervter Stimme sofort anfügt: "Nein, ich bin kein Putin-Versteher!"

Ende April hatte Westphal - der erste Bürger und Sozialdemokrat in Dortmund, der vermeintlichen "Herzkammer der SPD" - jenen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz signiert, in dem Alice Schwarzer vor einem Dritten Weltkrieg und vor weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine warnte. Prompt prasselten Proteste auf ihn ein: SPD-Wähler verlangten ihre Stimme zurück, andere schimpften "Verrat", und auf Twitter kürte jemand den 55-jährigen Rathaus-Chef zum "Gerhard Schröder Westfalens".

Westphal war's egal. Auch, weil er seither in persönlichen Gesprächen "sehr viel positivere Rückmeldungen" erfahren haben will. Also exponiert er sich jetzt erneut - und fordert als Genosse, man müsse mit Putin über einen "Modus Vivendi" für die Ukraine verhandeln. Sogar die Idee, ausgerechnet die Diktatoren in China "für eine Vermittlerrolle" zu gewinnen, billigt er. Dafür erntet er diesmal per Tweet ein Stoßgebet des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk ("Lieber Gott, ist diese Partei noch zu retten?"). Und den Vorwurf der Jusos, Westphal und Co. seien schlicht "empathielos".

Die Kritik der Parteijugend mag Westphal einen zarten Stich versetzt haben. Schließlich war der gebürtige Lübecker vor knapp 30 Jahren - in seinem ersten politischen Leben - selbst einmal Juso-Bundesvorsitzender. Stramm links und (wie anno dazumal auch Olaf Scholz) treuer Anhänger jener "Stamokap"-Theorie, wonach der Kapitalismus (als Bündnis von Großkapital und Staatsmacht) in seine imperialistische Endphase eingetreten sei. Nach zwei Jahren löste ihn 1995 eine gewisse Andrea Nahles ab. Westphal blieb zwar bis heute Mitherausgeber einer sozialistischen Zeitschrift, kümmerte sich fortan aber vorrangig um seine Karriere in der Privatwirtschaft. Er verdingte sich als Berater in mehreren Unternehmen, ehe er, der Volkswirt, 2010 zum Wirtschaftsförderer wurde: erst fürs Ruhrgebiet, seit 2010 exklusiv für Dortmund - und mit Erfolg: Die Zahl der Arbeitsplätze stieg stetig. Als schließlich vor zwei Jahren der alte OB nicht mehr kandidierte, trat Westphal an. Er gewann - trotz des Verschleißes seiner SPD nach 74 Jahren lokaler Macht und trotz eines schwarz-grünen Wahlbündnisses - die absolute Mehrheit.

Nun ist Westphal Berufspolitiker. Er mischt sich ein, auch bei großen, nationalen Fragen: "Ich bin ein politischer Mensch, nicht nur ein Verwaltungsmann", sagt er im Gespräch. Putins Angriffskrieg in der Ukraine treffe - über gestiegene Energiepreise - ja auch seine Dortmunder: "Wir Deutschen sind keine Kriegspartei, aber Putin hat uns den Wirtschaftskrieg erklärt." Weshalb Westphal kürzlich ein Strategiepapier für einen "Gas-Sicherungsfonds" an den Städtetag verschickt hat. Und weshalb er sich sehr prinzipiell zu Krieg und Frieden einlässt. Der neue Aufruf zitiert die SPD-Ikone Willy Brandt: "Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts." Westphal selbst beruft sich auf ein Zitat, das er mit eigenen Ohren vor vielen Jahren mal von Egon Bahr vernommen hat, dem Strategen der Ostpolitik: "Wer Frieden will, der muss mit denen reden, die ihn nicht wollen."

Mit diesen Kronzeugen bestreitet Westphal auch die Deutung, seine Friedensinitiative richte sich gegen den Kurs der Bundesregierung. "Ich bin kein Pazifist", sagt er, "und dies ist keine Aktion der Parteilinken!" Sondern? Westphal beteuert beste Absichten: "Wir wollen Olaf Scholz den Rücken stärken gegen jene, die schimpfen, er sei zu zögerlich." Er ahnt, dass diese Solidarität nicht überall in Berlin so ankam.

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