Mütze auf dem Kopf, ein breites Lächeln im Gesicht und einen Kofferraum voll mit Spargel. Franz Nestler sitzt im Auto und ist auf dem Weg vom Pilsen- zum Ammersee. Immer von Dienstag bis Samstag reist er durch Oberbayern, von einem Markt zum anderen. Nestler, 44, ist Spargelbauer in Hohenried, das gehört zum Anbaugebiet Schrobenhausen, von dort kommt jede dritte bayerische Spargelstange, Nestlers Familie ist seit 25 Jahren im Geschäft. Vermeintlich war es krisensicher. Vermeintlich.
Nachdem die Deutschen lange bereit waren, viel Geld für das Saisongemüse auszugeben, scheint es in diesem Jahr damit vorbei zu sein, bei den Bauern in und um Schrobenhausen ist der Verkauf um zehn bis 15 Prozent zurückgegangen, andere Gebiete melden sogar ein Minus von bis zu 30 Prozent. "Spargel ist ein Luxusgemüse", sagt Nestler, "wenn die Menschen weniger Geld haben, ist es ganz logisch, dass sie ihr Erspartes nicht für ein Wohlfühlprodukt wie Spargel ausgeben", sagt Nestler. Die Wirkungskette: Krieg in der Ukraine, höhere Energiekosten, steigende Inflationsrate, weniger Geld in der Kasse. Volkswirtschaft war Franz Nestler nie fremd, er hat früher bei der Sparkasse gearbeitet, vor sechs Jahren übernahm er den Hof des Vaters. "Da musste ich zugreifen", sagt Nestler, wann sonst habe man die Möglichkeit, ein solches Geschäft, den ganzen Betrieb zu übernehmen, ohne zunächst groß investieren zu müssen? Zudem ein Geschäft, das er von klein auf kannte. "Spargelbauer sein, das bedeutet, dass die ganze Familie mit anpacken muss." So auch jetzt nicht nur seine Eltern, sondern auch die eigenen drei Kinder; 19, 17 und zwölf Jahre alt. "Ob ihnen das Spaß macht, müssen Sie sie selbst fragen."
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Nur noch 15 statt 25 Saisonarbeiter
Nun also die Krise. Um Kosten zu sparen, entscheiden sich viele Bauern, ihre Felder zumindest nur noch teilweise abzuernten - was man eigentlich nur dann macht, wenn die Erntekosten höher sind als der zu erwartende Preis beim Verkauf. Bei knapp sieben Euro fürs Kilo liegt der zurzeit, fast ein Euro weniger als vor einem Jahr. Schätzungsweise 15 bis 20 Prozent weniger Spargel hat Nestler auf seinen 15 Hektar gestochen, mangels Nachfrage. Damit trifft die Krise ihn sogar noch etwas heftiger als die Branche insgesamt. Vor allem im Einzelhandel lief es im April und Mai nicht gut. Der Rückgang hat auch Auswirkungen auf die Saisonarbeiter, die jedes Jahr aus Osteuropa zu Nestler kommen. "In einer normalen Saison haben wir 20 bis 25 Arbeiter aus Rumänien und Polen. Jetzt sind es nur noch 15, die anderen musste ich entlassen."
Und die Prognose? Am Freitag hat der Bundestag die Erhöhung des Mindestlohns beschlossen, bis Oktober wird er von 9,82 Euro auf zwölf Euro steigen. Der Spargelbauer Nestler gehört zu denjenigen im Land, die darin weniger die Chance sehen, attraktiver für Arbeitskräfte zu werden, sondern die Gefahr, nicht mehr konkurrenzfähig zu sein. Seine Produktionskosten würden sich um schätzungsweise 25 Prozent erhöhen, sagt er. "Wie sollen wir da mit der Konkurrenz aus dem Ausland mithalten?" Billiganbieter aus dem Süden exportieren das Gemüse nach Deutschland, schon jetzt ist der für mitunter vier Euro angebotene grüne Spargel geradezu eine Plage für die Bauern hierzulande. "Man kann den Verbrauchern keinen Vorwurf machen und an die Vernunft plädieren", sagt Nestler. "Wem es am Geld fehlt, der schaut nicht nach Fair Trade."
Jetzt, zum Ende der Erntezeit, versucht er dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen: "Eine Belastung für uns alle, ja. Aber: Spargel ist ein geiles Gemüse." Es ist eine mehrjährige Staude, deren Wurzelstock im Boden überwintert. Spargel wird also nicht jedes Jahr neu gepflanzt. "Wenn wir die Spargelpflanze nun auswachsen lassen, statt sie zu stechen, kann sie sich erholen." Im nächsten Jahr wüchsen die weißen Spitzen dann umso schöner und besser. "Dann können wir von vorne starten."