Siemens:Vom Gemischtwarenladen zum digitalen Industriedienstleister

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Mögliche Nachfolger Kaesers können das, was er jetzt tut, nicht mehr rückgängig machen. (Foto: AFP)

Chef Joe Kaeser zerlegt den Mischkonzern Stück für Stück. Die Investoren freuen sich. Aber ist das auch eine gute Nachricht für die Beschäftigten?

Kommentar von Thomas Fromm

Sprechen Manager von der DNA ihres Unternehmens, dann geht es ihnen um Dinge, die unverhandelbar sind. Traditionen, Wurzeln, Werte. Um die ganz große Frage, was einen Konzern ausmacht und wofür er steht. Wenn Siemens-Chef Joe Kaeser nun sagt, dass die Abspaltung der Kraftwerkssparte eine große Veränderung der DNA des Unternehmens bedeute, dann heißt das nichts anderes als: Jetzt geht es bei der mehr als 170 Jahre alten Ikone der deutschen Industrie ans Eingemachte. Siemens wird radikal umgebaut, aber noch kann niemand genau sagen, was Joe Kaesers Eingriff am Ende mit dem Unternehmen und seinen Menschen machen wird.

Der Konzern funktioniert seit jeher wie eine Art Organismus, er ist einer steten Veränderung unterworfen. Mal werden Geschäftssparten dazu gekauft, mal werden welche abgegeben, manchmal auch sehr große wie die Lampentochter Osram, die Speicherchips unter dem Namen Infineon oder das riesige Telefongeschäft. Siemens ist ein ewiges Laboratorium.

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Diesmal aber ist die Sache anders als in den Jahrzehnten vorher. Die Umbauten, die Kaesers Vorgänger initiiert hatten, reichten meist nicht an den Kern des Unternehmens heran. Sie hatten oft nur so lange Bestand, bis ein Neuer an der Spitze die Dinge wieder kassierte oder etwas anderes ausprobierte. Kaesers Aktion aber ist im Grunde kaum umkehrbar - selbst wenn es sich ein Nachfolger irgendwann wieder anders überlegen sollte.

Joe Kaeser verändert Siemens im Kern, indem er den Konzern Stück für Stück zerlegt. Eine Industriesparte nach der anderen wird ausgelagert, abgespalten, an die Börse gebracht, mit anderen Unternehmen zusammengelegt. Die Medizintechniksparte, das Windgeschäft, Osram, die Züge - und jetzt nun einer der ganz großen Brocken: das Kraftwerksgeschäft mit seinen 80 000 Mitarbeitern, das an die Börse gebracht werden soll.

Was übrig bleibt ist, zugespitzt, eine Art Rumpf-Siemens: ein auf digitale Industrie-Dienstleistungen spezialisiertes, möglicherweise sehr profitables Unternehmen und damit der moderne Gegenentwurf zu dem Gemischtwarenladen, der Siemens im Grunde immer war.

Kaeser glaubt, dass Mischkonzerne keine Zukunft mehr haben. Die Märkte verändern sich wegen der Digitalisierung aller Lebensbereiche immer schneller, und wer da noch eine Chance haben will, sollte nicht mehr Teil eines behäbigen Konglomerats sein, sondern muss sich in der neuen, harten Welt der Googles und Apples allein behaupten können. Auf Neudeutsch: agil sein. Nicht zufällig bedient Kaeser dabei auch die Interessen seiner Investoren. Die haben es gerne übersichtlich; Wackelkandidaten wie das Kraftwerksgeschäft mit seinen Problemen mögen sie nicht. Nicht zufällig stieg die Aktie des Unternehmens am Mittwoch kräftig.

Zur alten DNA von Siemens gehörte es, sehr unterschiedliche Geschäfte unter einem gemeinsamen Dach zu führen. Züge, Röntgengeräte, Kraftwerke - alles aus einer Hand sozusagen. Die Sparten konnten, besonders auch im Ausland, auf diese Weise als einheitlicher Konzern auftreten. Ging es einer Sparte schlecht, konnte dies durch die Erfolge in anderen Geschäften ausgeglichen werden. Das ist nun vorbei. Für Tausende Mitarbeiter in der Kraftwerksparte beginnen nun neue Zeiten. Für die, die in das neue Unternehmen wechseln müssen. Und für all jene, die womöglich ihren Job verlieren.

© SZ vom 09.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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