Das Verständnis von Wörtern hängt immer auch von den Kontexten ab, in denen sie benutzt werden. So ist aus dem eigentlich schönen und psychologisch wichtigen Vorgang des „Sich-Bekennens“ längst die hässliche Selbstbezichtigung geworden– eine Person oder eine Gruppe reklamiert eine scheußliche Tat für sich, wie jetzt der IS das Messerattentat in Solingen. Mit einem „Bekennerschreiben“ tritt sie aus der Anonymität ins Scheinwerferlicht der Medien und verwandelt das Aufsehen „in eigene hochgradige Publizität“ (Hermann Lübbe). Die Geschichte der Bundesrepublik ist voll von solchen grausigen Bekenntnissen. Seit den Tagen der RAF haben alle möglichen rechten und linken Akteure die Verantwortung für Gewalt und Mord übernommen – wodurch der Sinn des Bekennens ins Dunkle gekippt ist. Als Augustinus seine „Confessiones“ schrieb, überwog darin noch das Positive. Einerseits war sein Buch ein Schuld- und Sündenbekenntnis, andererseits ein Manifest seines Glaubens an Gott und seiner Überzeugungen. Wer sich wie er bekannte, bejahte etwas rückhaltlos, trat für eine Sache ein, bekannte „Farbe“ im Sinne von: war durch und durch ehrlich (anders als etwa der Schlawiner Felix Krull). Diese ultimative Transparenz bringt geständigen Angeklagten vor Gericht praktisch immer einen Straferlass. Weil sich aber in der heutigen Zeit viele mit ernsten Bekenntnissen (erst recht religiösen) schwertun, ist das Sich-Bekennen ein wenig aus der Mode gekommen. Lieber „committed“ man sich, das ist weniger verbindlich. Nur eine Gruppe wie der IS, die besteht in ihrer Pseudoreligiosität natürlich auf den Begriff.
Aktuelles Lexikon:Sich bekennen
Ein Ausdruck, der immer wieder missbraucht wird, wie jetzt vom IS nach dem Attentat in Solingen.
Von Marc Hoch
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