Abschiebungen nach Afghanistan:Horst Seehofers späte Einsicht

Lesezeit: 2 Min.

Polizeibeamte begleiten einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. (Archivfoto von 2019) (Foto: Michael Kappeler/DPA)

Der Bundesinnenminister verzichtet vorerst auf Abschiebungen nach Afghanistan. Er gibt damit einen skrupellosen Gedanken auf - auch wenn seine neuen Skrupel offenbar weniger den Geflüchteten gelten.

Kommentar von Detlef Esslinger

Wo endet Weltfremdheit, wo beginnt Skrupellosigkeit? Noch vor wenigen Tagen hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer weitere Abschiebungen nach Afghanistan damit begründet, ohne sie würde man noch mehr Afghanen "motivieren", ihre Heimat Richtung Europa zu verlassen. Was Afghanistan betrifft, gibt es ja noch eine andere Debatte: über die ehemaligen Ortskräfte der Bundeswehr. Zum Teil finden sie deshalb nicht aus dem Land, weil die Bundesregierung ihnen zumindest lange Zeit jede Hilfe verwehrt hat; zum Teil inzwischen wohl auch deshalb, weil Behörden in Kabul sich querstellen.

Jedenfalls, wer derzeit dort unterwegs ist auf der verzweifelten Suche nach Schleichwegen und Schlupflöchern, der tut dies, weil angesichts des schnellen Vorrückens der Taliban ein Satz gilt, den auch in Deutschland jeder kennt - die alte Weisheit der Brüder Grimm: Etwas Besseres als den Tod findest du überall. Zur Flucht "motivieren", indem man niemanden mehr zurückschickte? Was für eine verquere Kategorie, in der da, im Fall Afghanistan, gedacht wurde.

Der Minister sorgt sich vor allem um das Begleitpersonal bei Abschiebungen

Im Spiegel hat Horst Seehofer am Donnerstagmorgen zu erkennen gegeben, warum er die Abschiebungen nun plötzlich ausgesetzt hat: weil er "nicht nur" die Verantwortung für Leib und Leben der Abzuschiebenden habe, "sondern auch für das Begleitpersonal, die Polizisten, Verwaltungsbeamte, Ärzte, Dolmetscher und Flugbegleiter". Auf einen Abzuschiebenden kämen im Durchschnitt drei Begleiter.

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Mit anderen Worten: Was haben die Afghanen für ein Glück, dass ihre Abschiebung immer so aufwendig ist! Für den Moment zählt indes nicht so sehr, dass es dem deutschen Innenminister womöglich weniger um sie als um seine Mitarbeiter geht. Für den Moment zählt, dass er die Abschiebungen ausgesetzt hat, bevor der nächste Flieger nach Kabul gestartet wäre. Der Schande, den Taliban Zugriff auf die ehemaligen Ortskräfte der Bundeswehr zu ermöglichen, hätte man die Schande hinzugefügt, ihnen auch noch Nachschub an Opfern zu liefern.

Und was ist mit den Ortskräften, die Deutschland schutzlos zurückließ?

Natürlich sind jene Afghanen eine Zumutung, die in Deutschland Schutz bekamen und sich mit Straftaten bedankt haben. Aber Völkerrecht und Strafgesetzbuch sehen für sie Haft in Straubing vor, nicht Enthauptung in Kundus. Man braucht ja weder Phantasie noch Ortskenntnis, um abzuschätzen, was die Taliban mit jemandem machen, von dem sie hören, dass er soeben aus Deutschland zurückgekehrt ist (übrigens ganz unabhängig davon, ob der hier kriminell geworden oder lediglich nicht als Verfolgter anerkannt worden ist).

Nachdem Horst Seehofer vorerst keine Ressourcen mehr auf diese Abschiebungen verschwenden muss: Mag er sich nun motivieren, die Ortskräfte zu retten? Zumindest zu erkennen geben, dass ihm dies ein Anliegen wäre? Nur mal als Idee.

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