Das war's. Eben noch war Schweden, im eigenen Bilde wie auch in dem vieler Außenstehender, ein Leuchtturm unter den Nationen: eine humanitäre Supermacht, die Heimstatt von Gleichheit und Wohlfahrtsstaat, eine uneinnehmbare Bastion von Toleranz und Menschlichkeit.
Wer genauer hinschaute, konnte sehen, dass die rosigen Bullerbü-Träume schon lange kaum mehr als Verklärung waren, dass Schweden dabei war sich zu verwandeln in ein Land wie viele andere. Seit der Wahl vom Sonntag aber ist Schweden mit einem Mal extremer als die anderen. Nirgendwo in Westeuropa sind die extremen Rechten heute stärker als in Schweden.
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Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD), einst gegründet von Alt- und Neonazis, haben sämtliche bürgerlichen Parteien hinter sich gelassen und sind die zweitstärkste Partei des Landes. Vor allem aber: Die Bürgerlichen haben die eben noch gemiedenen SD zu Partnern gemacht. Und nun schicken diese sich an, über die Geschicke des Landes mitzubestimmen. Zeitenwende auf Schwedisch.
Als Wahlsieger feiert sich nun Ulf Kristersson, Führer der bürgerlichen Moderaten. Wahrscheinlich wird er der nächste Ministerpräsident Schwedens - und ist doch ein Düpierter, ein Verlierer auch: Kristersson musste sich im eigenen Lager übertrumpfen lassen von den Rechtspopulisten.
Die Sozialdemokraten haben zuletzt kaum mehr Politik gemacht für die Arbeiter
Es gibt viele Faktoren, die den Aufstieg der Schwedendemokraten begünstigt haben. Da ist die Selbsttäuschung der Schweden über ihre eigene Einzigartigkeit, die einher ging mit Verdrängung der dunkleren Seiten auch der schwedischen Geschichte. Da sind die Versäumnisse der Sozialdemokraten: Sie haben zuletzt kaum mehr Politik gemacht für die Arbeiter, die Schwachen. Und sie haben ihr Volk schlicht überfordert mit der Aufnahme von mehr Asylsuchenden pro Kopf der Bevölkerung als jedes andere westliche Land, zumal sie es dann versäumten, die Weichen für eine gelungene Integration zu stellen. Und als die Bandenkriminalität in den Vorstädten eskalierte, da begingen sie den Fehler, das Thema lange exklusiv den Schwedendemokraten zu überlassen.
Und doch ist die eigentliche Geschichte dieser Wahl die Kapitulation der liberalen Bürgerlichen vor Rechtsaußen - aus Machtkalkül. Es ist die Geschichte einer sich selbst gestellten Falle, wie sie sich so anderswo schon oft zugetragen hat: die Geschichte bürgerlicher Parteien, die sich entschließen, zum Zwecke der Machtgewinnung rechtspopulistische Bewegungen zu umarmen, nur um am Ende verblüfft festzustellen, dass es die extreme Rechte ist, die bei diesem Tänzchen gewinnt.
Um ihren Tabubruch zu rechtfertigen, haben Schwedens Bürgerliche im vergangenen Jahr nicht nur so getan, als wären die Schwedendemokraten eine normale Partei, sie haben sie bisweilen gar gepriesen für ihre harte Ausländerrhetorik. Wenn aber das Stigma einmal genommen ist, dann wählen viele lieber gleich das Original als die Kopie.
Das aber ist fatal für die Demokratie, weil die Schwedendemokraten eben das nicht sind: eine normale Partei. Sie sind keine Nazi-Partei mehr, aber eine Partei des extremen Nationalismus, die vielen Aspekten der liberalen Demokratie feindselig gegenübersteht. Im Kern sind sie eine revolutionäre Partei: Sie wollen ein anderes Schweden, und sie wollen es morgen. Sie haben eine Vision von ihrem ganz eigenen Bullerbü, schwärmen von Viktor Orbáns Ungarn, träumen von einem Schweden braver, weißhäutiger, christlicher Familienmenschen, frei von kriminellen Ausländern und dem Diktat fremder Mächte. Frei auch von LGBTQ-Flaggen und kritischen Medien. Linus Bylund, Stabschef der SD, nannte Journalisten vor ein paar Jahren "Feinde des Volkes". In der Wahlnacht gefragt, auf was er sich nun freue, sagte Bylund: "Journalisten-Rugby".
Die Ideen und die Sprache der Rechten sickerten in den Mainstream ein
Die Schwedendemokraten haben Schweden schon jetzt verändert. Sie trieben die anderen "wie in einer Abwärtsspirale vor sich her", schrieb die liberale Dagens Nyheter. Wenn man die extreme Rechte enttabuisiert, dann sickern ihre Sprache und ihre Inhumanität langsam ein in den Mainstream. Im Wahlkampf überboten sich die Parteien mit Vorschlägen zum Abbau des Rechtsstaats im Dienste der Verbrechensbekämpfung. Am Ende warnte selbst Ministerpräsidentin Magdalena Andersson vor "Somalitowns" als Bedrohung. DN konstatierte "eine Brutalisierung der Öffentlichkeit".
Bislang sah der Plan von Ulf Kristersson so aus: Seine Bürgerlichen lassen sich von der SD wählen und tolerieren. Formell sollen die Partei und ihr Chef Jimmie Åkesson außerhalb einer Regierung bleiben und lediglich die Rolle einer Unterstützerpartei übernehmen. Nun aber strotzen die Rechtspopulisten vor Kraft. Nun, meinte das den Bürgerlichen grundsätzlich wohlgesonnene Svenska Dagbladet, könne man es wohl auch so sehen: "Ulf Kristersson wird Premierminister in der Regierung von Jimmie Åkesson". Der Sieger der schwedischen Wahl steht ganz rechts außen.