Zum zweiten Mal in Folge ist in Nordrhein-Westfalen am Sonntag eine Regierung abgewählt worden. Und zum zweiten Mal in Folge ist der große Verlierer der Wahl: der kleine Koalitionspartner. 2017 traf es die Grünen, die fast die Hälfte ihrer Prozentpunkte einbüßten. Nun erwischte es die FDP, die noch schlimmer abstürzte, von 12,6 auf 5,9 Prozent. Gründe gibt es dafür in beiden Fällen viele. Jede Wahl ist anders, die jüngste mit Corona und dem Krieg in der Ukraine ganz besonders. Doch eine, womöglich die wichtigste Ursache haben der grüne und der gelbe Absturz gemeinsam: FDP und Grüne waren beide für die Schulpolitik verantwortlich.
Die Noch-Ministerin Yvonne Gebauer und ihre Vorgängerin Sylvia Löhrmann könnten unterschiedlicher kaum sein. Hier die kühle Liberale, der nicht zuletzt ihr Mangel an Gefühl für die von Corona aufgewühlte Schulfamilie zum politischen Verhängnis wurde. Dort die leidenschaftliche Grüne, die sich vor allem an einem Herzthema progressiver Schulpolitik verhob, der Inklusion. Doch gerade weil Gebauer und Löhrmann sich so unterscheiden, lenken sie den Blick auf das, was ihr Scheitern verbindet: Ihr Ministerium erwies sich als Mühlstein, der nicht nur eine Karriere, sondern gleich eine ganze Partei in die Tiefe zog.
Bei Bildungsministern ist es wie bei Schiedsrichtern: Wenn sie gute Arbeit leisten, fallen sie nicht auf
"Kein Kind zurücklassen" hatten die fürsorglichen Grünen versprochen, "Weltbeste Bildung" die großspurige FDP. Gelungen ist beides nicht. Und natürlich liegt das auch an den Ministerinnen selbst, an Fehlern, von denen sich gerade Gebauer seit Beginn der Corona-Krise einfach zu viele leistete - wenn auch nicht ganz so viele, wie ihre mitunter gnadenlosen Kritiker meinen. Doch es liegt eben nicht nur an persönlichen Versäumnissen. Es liegt auch daran, dass Schulpolitik im Allgemeinen - und NRW-Schulpolitik im Besonderen - manchmal eine undankbare Aufgabe ist. Eine, in der es viel zu verlieren und wenig zu gewinnen gibt.
Erstens: Die Erwartungen an die Schulpolitik sind größer als ihre Möglichkeiten - besonders in NRW. Sie soll die Risse in der Gesellschaft kitten, muss aber um jede Lehrerstelle feilschen. Zweitens: Wer Schulpolitik macht, hat es mit einer häufig aufgeregten Öffentlichkeit und vielen Besserwissern zu tun. Drittens: Veränderungen im Bildungsbereich dauern länger als eine Legislaturperiode. Bis zum Beispiel Lehrer ihre Ausbildung beenden und an den Schulen ankommen, vergehen sieben oder acht Jahre - und die Ministerin, die die neuen Stellen durchgesetzt hat, ist womöglich nicht mehr im Amt. Profilieren muss man sich anderswo.
Für Bildungsminister gilt oft das Gleiche wie für Schiedsrichter: Wenn sie gute Arbeit leisten, fallen sie nicht auf. Wenn sie schlechte Arbeit leisten, stürzen sich alle auf sie, was während der Pandemie nicht nur Yvonne Gebauer erlebte. Kein Wunder, dass sich niemand um den Job reißt. Für die Schulen ist das keine gute Nachricht. Ambitioniertes und durchsetzungsstarkes Personal wäre in den Kultusministerien besonders nötig. Aber wer noch was werden will in der Politik, lässt eher die Finger davon.
Das Beispiel NRW zeigt aber auch: Zur Falle kann das Kultusministerium besonders für den Juniorpartner einer Koalition werden, der wenige Ministerien besetzt und umso stärker mit den jeweiligen Personen verbunden wird. Die größere Partei ist weniger gefährdet. In Schleswig-Holstein holte die CDU unter Ministerpräsident Daniel Günther mehr als 40 Prozent - obwohl der Kultusministerin Karin Prien der Wind in den letzten zwei Jahren ähnlich streng ins Gesicht wehte wie Yvonne Gebauer.