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Sachsen-Anhalt:Später Triumph für einen überzeugten Demokraten

Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt gibt weniger Anlass zur Erleichterung, als viele darin sehen. Gut für die politische Kultur ist aber, dass mit Reiner Haseloff kein Kalkül-König gewonnen hat.

Kommentar von Cornelius Pollmer

Politik ist oft auch eine Frage des Erwartungsmanagements, insofern lässt sich die Erleichterung nachvollziehen, mit der am Sonntag das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt kommentiert wurde. Nun also doch keine apokalyptischen Reiter auf dem Domplatz, ja, nicht mal Platz eins für die AfD? Wem das schon genügte für Freudentränen und ein drittes Glas Sekt auf der Wahlparty, dem wird vielleicht einen Tag später bewusst, wie sich dieses Wahlergebnis auch lesen lässt.

Eine in Teilen offen radikale Partei hat fast 21 Prozent der Stimmen erhalten, nachdem sie fünf Jahre im Landtag politisch fast nichts konstruktiv beizutragen hatte - mit erneut sehr guten Resultaten gerade bei jüngeren Wählergruppen. Über die nun auf vielen Seiten formulierte Erleichterung darf man sich deswegen zumindest wundern - besonders, wenn man sich an das nachvollziehbare Entsetzen erinnert, mit dem in der Vergangenheit selbst einstellige Ergebnisse extremer Parteien oft aufgenommen wurden.

Richtig aber ist, dass diese Landtagswahl mit Reiner Haseloff einen in mancher Hinsicht überraschenden und überraschend deutlichen Sieger hervorgebracht hat. Noch dazu einen, der Politik nicht als Biotop zur Organisation von Beihilfe für die eigene Karriere begreift. Sondern der diese Wahl auch aus ehrlicher staatspolitischer Verantwortung gewinnen wollte und gewonnen hat.

Der 67-jährige Haseloff war schon auf dem Weg Richtung Ruhestand, als nicht nur er beobachten musste, wie Teile der CDU unter seinem Nachfolger als Landesvorsitzenden einmal mehr nach rechts aufweichten. Wie sie - teils aus strategischer Panik, teils aus eigener Schwäche und Stumpfheit, teils aber auch aus Überzeugung - die Nähe zur AfD suchten und damit die Nähe zu einer Partei, die der tiefgläubige Christ und erbarmungslose Kirchgänger Haseloff aus weit mehr als nur Kalkül ablehnt.

Haseloff riskierte viel - nach innen wie außen

Der zuweilen als konfliktscheu geltende Ministerpräsident suchte daraufhin hart wie nie die Machtprobe. Er entließ seinen Innenminister und fand eine so überzeugende wie für die CDU auch überregional interessante Position für den Wahlkampf. Haseloff riskierte viel nach außen, als er sich im noch unentschiedenen Machtkampf der CDU angesichts der bevorstehenden Landtagswahl für Markus Söder aussprach und damit gegen Armin Laschet. Und er riskierte viel nach innen, weil in seiner Fraktion eben längst nicht alle so firm gegenüber der AfD waren, wie es Haseloff immer war und wohl auch nach diesem Wahlabend bleiben wird.

Seinen Laden hielt Haseloff zusammen, indem er der CDU zwar das bedingungslose Nein zur AfD abforderte - ihr gleichzeitig aber Spielraum und sie etwa gewähren ließ, als es darum ging, eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages zu verhindern. Was wie in diesem Fall aus der Ferne womöglich wie ein Affront gegenüber Gepflogenheiten und Erwartungen an Folgsamkeit aussieht, wurde im Osten über die Landesgrenzen Sachsen-Anhalts hinaus vielfach als führungsstark wahrgenommen.

Entsprechend fallen die Werte für Haseloff am Sonntag noch besser aus als die für seine Partei. 70 Prozent aller Wähler sehen in ihm laut Infratest Dimap einen guten Ministerpräsidenten, zwei Drittel derselben Gruppe sagen, Haseloff vertrete selbstbewusst die Interessen der Ostdeutschen. Beim Kandidatenfaktor legte Haseloff um 50 Prozent zu und erreichte einen so hohen Wert wie noch nie.

Ein Ministerpräsident als Wahlgewinner, der sehr fest steht gegenüber der AfD, der sonst aber in der Lage ist, mit progressiven Partnern zu regieren und gleichzeitig konservative Strömungen aus seiner Partei zu bedienen - das sind sicher keine schlechten Nachrichten für Armin Laschet. Gleichwohl offen bleibt zunächst, ob auch die CDU in Sachsen-Anhalt die Botschaft der Wähler am Sonntag verstanden hat. Der Wunsch nach einer starken konservativen Kraft ist dort weiterhin stark, selbst wenn man all jene herausrechnet, die wie schon zuvor in Sachsen und Thüringen vor allem aus Angst vor einer starken AfD die Partei des jeweiligen Ministerpräsidenten gewählt haben.

Nicht minder groß scheint allerdings der Wunsch, von im weiteren Sinne anständigen Kräften regiert zu werden. Zu diesen Kräften zählt aus Sicht einer sehr großen Mehrheit der Wähler ganz offenkundig nicht die AfD.

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