Es war ein mutiger Schritt, und er ist nicht dadurch weniger beachtlich, dass schon viele Russinnen und Russen vor ihm gegen den Krieg in der Ukraine aufbegehrt haben. Dieser Fall liegt doch anders. Boris Bondarjew ist kein Künstler, kein Sänger oder Schauspieler, der nun Stellung bezieht zum Überfall auf das Nachbarland. Er stand zwei Jahrzehnte lang in Diensten des russischen Außenministeriums, vertrat also ebenso lange den Kurs Moskaus mit. Sich davon derart offen loszusagen, dürfte ihn lange und schwer beschäftigt haben. Hat Bondarjew, ein Diplomat, den vorher niemand kannte, damit also vielleicht das Eis gebrochen?
Verwunderlich ist es nicht, dass selbst russische Diplomaten den Krieg kritisch sehen. Allerdings lässt sich das spektakuläre Rücktrittsschreiben auch nicht zu einem sichtlich keimenden Widerstand hochrechnen. Niemand weiß, wie die Stimmung im russischen Apparat ist, wie das Zahlenverhältnis zwischen Hardlinern und Gemäßigten. Und was dies bedeuten könnte für den Fortlauf des Krieges in der Ukraine.
Kremlchef Wladimir Putin hat seine engsten Mitarbeiter vor laufender Kamera ins Boot gezogen, als er zwei Tage vor dem Beginn der Angriffe die Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk anerkannte. Und er hat das Land auf treue Gefolgschaft eingeschworen, hat unterschieden zwischen "Patrioten" und "Verrätern". Erkennbar ist auch mit dem Fall Bondarjew nicht, dass diese Gefolgschaft aufweicht. Viele Beamte haben viel zu verlieren, auch das ist Teil des über zwei Jahrzehnte gewachsenen Systems Putin.