Wladimir Putin:Hauptsache, Konflikt

Wladimir Putin: Wladimir Putin profitiert von der Verwirrung.

Wladimir Putin profitiert von der Verwirrung.

(Foto: Mikhail Metzel/dpa)

Nun sprechen die USA und Russland über Europas Sicherheit - aber gibt es da überhaupt etwas zu verhandeln? Warum es Wladimir Putin schon reicht, Streit und Spaltung voranzutreiben.

Kommentar von Stefan Kornelius

Wladimir Putin ist ein gewiefter Taktiker, der Europa und den USA ein Problem aufzwingen möchte, das eigentlich keines ist: Er will die Sicherheitsarchitektur des Kontinents neu arrangieren. Dabei ist es um diese Architektur leidlich gut bestellt. Niemand kann ernsthaft an der friedfertigen Natur der Staaten Europas zweifeln. Die Streitkräfte aller europäischen Nationen stellen für niemanden eine Bedrohung dar. Selbst die USA als europäische Garantiemacht sind nach dem Dafürhalten selbst russischer oder chinesischer Analysten weltmüde geworden.

Nun aber kommt der russische Präsident und behauptet, sein Land werde bedroht. Er spricht von Raketen und Truppenverlegungen, als ob es außer Russland noch eine andere Nation gäbe, die Mittelstreckenwaffen entwickelt und stationiert hat sowie hunderttausend Soldaten an der Grenze zu seinem westlichen Nachbarn in Stellung bringt. Offenbar hat sich Wladimir Putin für seine Inszenierung in ein Spiegelkabinett begeben: Was auch immer er an Gefährdungen wahrnimmt - in Wahrheit kann er nur sich selbst sehen.

US-Präsident Joe Biden ist in zwei Telefonaten auf diese Bedrohungsinszenierung Putins eingegangen. Manche werfen ihm deshalb bereits Anbiederei und Leisetreterei vor. Tatsächlich will Biden eine neuerliche Invasion der Ukraine verhindern und musste damit auf die Erpressung antworten, weil der russische Truppenaufmarsch die Gefahr eines Krieges wahrscheinlich erscheinen ließ. Zumindest waren die Signale so bedrohlich, dass niemand nur einen Bluff vermuten konnte.

So hat Putin bereits sein erstes Ziel erreicht: Die USA haben die Inszenierung akzeptiert und mussten sich auf die Logik Moskaus einlassen. Die Staaten Europas spielen in Putins Plan keine Rolle, er will sie gespalten sehen. Der Minsker Friedensprozess, eine europäische, ja deutsche Erfindung, liegt im Koma.

Putin ist weit gesprungen, aber noch nicht gelandet

Nun beginnt die zweite Phase der Operation Sicherheitsarchitektur, in der Putin die Ordnung des Kalten Krieges inklusive Einflusszonen auferstehen lassen möchte - und Biden die Souveränität der Staaten Europas verteidigen muss. Putin verfolgt sein Ziel lautstark, bis hin zu einem bereits ausformulierten Vertragstext, der wie ein Diktat anmutet. Biden pocht auf stille Gespräche, weil er Putin nur die eine klare Botschaft mitzuteilen hat, die Bundeskanzler Olaf Scholz leicht chiffriert in der Neujahrsansprache unterbrachte: Europa ist ein Kontinent souveräner Staaten, die USA sind für die Sicherheit unverzichtbar, und Grenzverletzungen sind nicht verhandelbar.

Weil die Vorstellungen so unversöhnlich sind, kommt der Taktik der Verhandlungen und der öffentlichen Inszenierung große Bedeutung zu. Biden hat seine Linie vorgegeben: Ein Angriff auf die Ukraine würde einen massiven Bruch mit Russland nach sich ziehen, dem sich auch Europa nicht verweigern kann. Alles andere wird vertraulich behandelt, sprich: abgewettert, weil es für Europa wie die USA keinen Grund gibt, ihre Sicherheitsarchitektur infrage zu stellen.

Nun ist das Spiel eröffnet, Putin ist weit gesprungen, aber noch nicht gelandet, er profitiert von der Verwirrung. Biden sucht die Ordnung des Gesprächs und die Konfrontation im Stillen, weil sich der Konflikt öffentlich garantiert nicht deeskalieren lässt. Deeskalation wird aber Putins Ziel nicht sein. Er profitiert am meisten, wenn die Konflikte schwelen. So war es in Georgien und in der Ukraine. Und nun ist ganz Europa an der Reihe.

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