Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Konflikt:Die gute Nachricht

Russland und die USA setzen ihre Bemühungen fort, den Konflikt um die Ukraine gütlich beizulegen. Das ist definitiv ein Erfolg der Diplomatie. Was es jetzt braucht, um Moskau zum Einlenken zu bewegen.

Kommentar von Frank Nienhuysen

So viele Tropfen Zuversicht wie diesmal ließen sich schon lange nicht mehr destillieren, wenn Sergej Lawrow oder Antony Blinken sich zur Krise um die Ukraine äußerten. Es ist noch nichts entschieden, nichts beschlossen, nichts abgewendet. Aber immerhin verlängert sich nun die Gesprächskaskade zwischen Russland und dem Westen. Und wenn der russische Außenminister von der Hoffnung spricht, dass sich vielleicht die Gemüter wieder beruhigen, ist zumindest ein kurzes Verschnaufen erlaubt. Ob für eine Invasion nun Hunderte Panzer die Grenze überqueren müssen oder ob es schon reicht, wenn ein russischer Militärjeep an einer ukrainischen Bushaltestelle parkt: Akut muss darauf öffentlich niemand antworten.

Die Diplomatie wird vorerst fortgesetzt, das dunkle Gewölk lockert sich auf, das ist eine gute Nachricht. Selbst wenn noch immer völlig unklar ist, wie sich die Krise weiterentwickeln wird, so haben gleich mehrere Seiten durch die jüngsten bedrohlichen Wochen schon jetzt einiges gewonnen, verloren allerdings auch.

Alle Welt spricht wieder über Russland, nicht über China

Russlands Präsident Wladimir Putin hat sein Land in kurzer Zeit in die erste Reihe katapultiert, nicht in der Wirtschaft, aber was die Aufmerksamkeitsspanne und die Sicherheitspolitik betrifft. Die USA und China waren zuletzt die dominierenden, rivalisierenden Supermächte gewesen, neue Antipoden, die die Agenden der Welt setzten. Aber nun: Selten ist so wenig über China geredet worden, selten so viel über Russland. Ein Erfolg, der sich für Moskau auch daheim auskosten lässt.

Putin und die russische Militärführung dürften wissen, dass die Nato ihnen die Garantie versagen wird, die Ukraine und Georgien niemals in der Allianz aufzunehmen. Praktisch aber macht das bedrohliche Aufgebot von mehr als 100 000 russischen Soldaten dicht an der ukrainischen Grenze einen Beitritt zugleich unwahrscheinlich. Moskau hat zwar kein Vetorecht, aber gehörigen Einfluss, über die Separatisten im Donbass sowie die Gebiete Südossetien und Abchasien den Preis für eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens nach Belieben in die Höhe zu treiben. Schon Georgien wartet seit Jahren auf den Beitritt. Dass es bisher vertröstet wurde, liegt nicht nur, aber auch wesentlich an Rücksichtnahme auf Russland.

Wladimir Putin hat die Nato aber offenbar falsch eingeschätzt

Zugleich scheint sich Moskau aber verkalkuliert zu haben. Auch wenn US-Präsident Joe Biden etwas freigiebig über interne, unterschiedliche Gedankengänge der Nato-Staaten geplaudert hat: Die Botschaft der Geschlossenheit ist nach außen schon sehr nachdrücklich zelebriert worden. Scholz, Baerbock, Macron, Blinken, die Niederländer, Briten und Balten - eine Warnung kettete sich an die nächste. Die Allianz, von Donald Trump fast schon abgesungen, fühlt sich wieder bedeutsam. Mehr noch: Lauter als zuvor ist zuletzt auch in Schweden und Finnland über Sicherheit und sogar eine Nato-Zugehörigkeit debattiert worden. Und dass am Ende nicht die Bundesnetzagentur über die Gaspipeline Nord Stream 2 entscheiden könnte, sondern Russland selbst, dürfte in Moskau inzwischen ebenfalls Teil einer sorgenvollen Kosten-Nutzen-Rechnung sein.

Wie es weitergeht? Ein für Russland prestigeträchtiger Zweiergipfel mit Biden könnte das Bedrohungsgefühl senken. Dies der russischen Bevölkerung dann auch ohne maximale Zusicherungen der Nato als großen Erfolg zu verkaufen, wäre eine leichtere Übung. Es ist seit Freitag zumindest ein wenig wahrscheinlicher geworden.

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