Bundeskanzler:Herr Scholz, nehmen Sie Ihren Platz ein

Bundeskanzler: "#WoIstScholz"? Nein, das ist nicht die Frage. Sie müsste heißen: Was sagt Scholz? (im Bild der Bundeskanzler (SPD) mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock)

"#WoIstScholz"? Nein, das ist nicht die Frage. Sie müsste heißen: Was sagt Scholz? (im Bild der Bundeskanzler (SPD) mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock)

(Foto: POOL/REUTERS)

Im Konflikt mit Russland muss der neue Kanzler die Lücke füllen, die seine Vorgängerin hinterlassen hat. Dabei darf er keine Zeit verlieren.

Kommentar von Daniel Brössler

Sauli Niinistö, der Präsident Finnlands, ist kürzlich gefragt worden, was andere von seinem Land lernen können für den Umgang mit Russland. Finnland verbindet mit seinem großen Nachbarn eine 1340 Kilometer lange Grenze und eine leidvolle Geschichte. Doch es ist bekannt für eine lange Tradition des Ausgleichs, die zurückreicht in die Zeit des Kalten Krieges. Rat aus Finnland einzuholen, kann also nicht schaden, während ein russischer Truppenaufmarsch die Ukraine in Angst und die Welt in Sorge versetzt. Finnland setze auf Partnerschaften, auch mit der Nato, antwortete Niinistö. Es sei ein Verfechter des Multilateralismus und bemühe sich um eine gute Zusammenarbeit mit Russland. Vor allem aber, betonte der Präsident, sei Finnland "gut bewaffnet".

Diese Antwort führt mitten hinein in die neue Welt und womöglich auch in das Denken des Olaf Scholz. Auf dem neuen Kanzler lastet bereits in den ersten Tagen seiner Amtszeit die Verantwortung, einen neuen Krieg im Osten Europas zu verhindern. Nicht auf ihm alleine natürlich, aber Deutschland hat mit dem Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel seine zentrale Rolle in der westlichen Russland-Politik nicht verloren. So wenig Zeit sich Scholz im Kampf gegen die Pandemie lassen kann, so wenig Zeit bleibt ihm auch, um in der heiß laufenden Krisendiplomatie den Platz einzunehmen, der dort für einen deutschen Kanzler frei gehalten ist.

Er beruft sich auf Helmut Schmidt, nicht nur auf Willy Brandt

Bisher hat Scholz in sämtlichen Äußerungen zur Krise im Osten Europas das Beispiel der Siebzigerjahre angeführt, in denen unter schwierigsten Umständen Entspannung mit der Sowjetunion möglich geworden sei. Hier trifft er sich mit dem Finnen Niinistö, der gerne jenen Geist wiederbeleben würde, der 1975 zur Schlussakte von Helsinki geführt hatte. Wenn Scholz auf diese Politik verweist, fällt aber auf, dass er sich nicht nur auf Willy Brandt beruft, wie dies in der SPD zum außenpolitisch guten Ton gehört, sondern stets auch auf Helmut Schmidt. Auf Brandt also, den Begründer der Ostpolitik, aber ebenso auf Schmidt, der im Streit um den Nato-Doppelbeschluss ein Verfechter der atomaren Abschreckung blieb. Auf diese Weise stellt sich Scholz in die Tradition sozialdemokratischer Entspannungspolitik, entzieht sich aber ihrer in Teilen der SPD populären Verklärung.

Das legt den Schluss nahe, dass Scholz wie der finnische Präsident in eigener Stärke und Entschlossenheit die Voraussetzung zum Dialog erkennt. Es stimmt, dass der Kanzler bisher vage geblieben ist. Er hat lediglich darauf verwiesen, dass bestehende Grenzen unverletzlich bleiben müssten, und er hat auch die Drohung vermieden, die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 könne nicht in Betrieb gehen. Wenn er aber sagt, ein möglicher russischer Angriff auf die Ukraine werde als "dramatische Regelverletzung" noch ganz andere Konsequenzen haben, wird deutlich, dass Scholz sich keine Illusionen macht über die Tiefe des Konflikts, der dann drohte.

Aus dieser Erkenntnis heraus bleibt dem neuen Kanzler gar keine andere Wahl als der Schulterschluss mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Die Europäer mögen beklagen, dass Biden die Führung übernommen hat, aber sie müssen zugeben, dass es ohne die USA nicht geht. Angela Merkel ist in den letzten Wochen ihrer Amtszeit mit dem Versuch gescheitert, das Normandie-Format aus Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland wiederzubeleben. Es spricht wenig dafür, dass Scholz gleich zu Beginn seiner Kanzlerschaft erfolgreicher sein kann. Umso wichtiger ist es, dass die Europäer nun zusammen mit den USA versuchen, die Kriegsgefahr zu bannen.

Die Behauptung, mit Russland werde zu wenig geredet, war schon immer falsch

Dieser Versuch kann nur aus zwei Teilen bestehen, in denen Scholz jeweils eine Rolle zu spielen haben wird. Zum einen muss die westliche Welt darin einig sein, dass eine Invasion der Ukraine für Russland wirtschaftliche Folgen hätte, die alles in den Schatten stellen, was nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und wegen des von Russland befeuerten Kriegs im Donbass verhängt worden war. Zum anderen muss und wird mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geredet werden - und zwar in jedem erfolgversprechenden Format. Die Behauptung, mit Russland werde nicht genug gesprochen, war ohnehin immer falsch.

Richtig ist, dass mit Russland nicht über alles gesprochen werden kann. Das liegt daran, dass für die Demokratien des Westens nicht alles verhandelbar ist - anders als für Autokratien. Russland verlangt, dass die Nato ihr Versprechen der prinzipiell offenen Tür für die Ukraine und Georgien zurücknimmt. Die russische Führung weiß natürlich gut, dass beide Länder in absehbarer Zeit keine reale Aussicht auf Aufnahme haben. Es geht ihr vielmehr darum, beide wieder in die Einflusszone Moskaus zurückzuholen. Das wäre nichts anderes als ein Diktat. Wer glaubt, auf diese Weise den Frieden zu sichern, hat die Lektionen des 20. Jahrhunderts schlecht gelernt. Es ist gut, dass der neue deutsche Kanzler sich genau auf diese Lektionen beruft.

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